Von Anfang an wusste Thibaut Garcia, wo er hinwollte: mit der Gitarre auf die klassischen Bühnen der Welt. Dabei erforscht er mit großer Neugierde verschiedene Stile und präsentiert auch beim Rheingau Musik Festival eine große Bandbreite an unterschiedlichen Konzertprojekten.
Schon von klein auf spielen Sie Gitarre. Haben Sie sich bewusst für das Instrument entschieden? Was macht die Gitarre für Sie zu einem so besonderen Instrument?
Ich wollte schon mit sechs Jahren anfangen Gitarre zu spielen und fragte meine Eltern, ob sie es mir beibringen könnten, weil sie selbst Gitarre spielen. Doch als Amateur-Autodidakten konnten sie das nicht. Aber ich habe sie jeden Tag gefragt und sie haben mich schließlich, als ich sieben Jahre alt war, in eine Musikschule gesteckt, um mit dem Unterricht anzufangen. Ich kann sagen, dass ich damals bereits entschlossen war.
Die Gitarre verbindet man häufig mehr mit Popularmusik als mit klassischer Musik. Was hat Sie dazu bewogen, eine professionelle Karriere als klassischer Gitarrist einzuschlagen? Haben Sie jemals in einer Band oder einer ähnlichen Formation gespielt?
Ich fing mit der klassischen Gitarre an und wollte nie wirklich woanders hin. Ich habe das Gefühl, dass das klassische Repertoire einen so romantischen und ausdrucksstarken Touch hat und bei mehr als 400 Jahren Musik auch eine tiefgreifende Perspektive der Erkundung bietet. Ein Leben reicht nicht aus, um alles zu erforschen. Das ist es, was mich dazu gebracht hat, diesen Beruf zu ergreifen.
Sie widmen sich mit großer Leidenschaft vor allem auch Komponisten und Genres abseits des klassischen Kanons. Erfordert die Erarbeitung dieser Werke eine andere Herangehensweise als die Auseinandersetzung mit bekannten Werken oder gibt es dabei für Sie keine Unterschiede?
Ich bin sehr offen für Musik, als Zuhörer und auch als Gitarrist. Wenn ich also etwas anderes als den klassischen Kanon spiele, ist das immer eine Entdeckung für mich und ich glaube, dass wir Musiker neugierig sein müssen. Solch eine Neugierde ist für mich die beste Eigenschaft eines Musikers. Einen populäreren Stil zu spielen oder zum Beispiel einen Popsänger zu begleiten, ist etwas anderes. Es ist ein Sprung in eine andere Kultur, eine Kultur des Klangs, der Bühne, der Phrasierung. Auch in der zeitgenössischen Musik müssen wir etwas anderes, etwas Aktuelles, Lebendiges einbringen. Die Identität der Gitarre ist so vielfältig, dass sie für mich wie ein Chamäleon ist, das neue Codes, neue Farben und eine neue Art des Hörens und Imaginierens präsentieren kann.
Sie sind spanisch-französischer Abstammung und haben Ihr Leben lang in Frankreich verbracht. Ist das der Grund, warum Sie sich vor allem für die südeuropäische Musik interessieren? Was ist es, dass Sie an dieser Musik besonders fasziniert?
Ein französischer Sänger aus Toulouse namens Claude Nougaro sagte einmal: „Spain pushes its horn in Toulouse.“ Und Südfrankreich ist tatsächlich mit Spanien verbunden, so wie ich es aufgrund meiner Vorfahren bin. Und ist man einmal mit der spanischen Kultur in Berührung gekommen, lässt sie einen nicht mehr los. Jedes Mal, wenn ich verschiedene Projekte mache und dabei keine spanische Musik spiele, gibt es immer einen Moment, in dem ich zu ihr zurückkehre. Einfach weil ich sie brauche. Sie ist ein Teil meines Wesens. Und die Geschichte der Gitarre ist über die Jahrhunderte hinweg eng mit Frankreich, Spanien und Italien verbunden.
In Ihrem Album „El Bohemio“ widmen Sie sich dem paraguayischen Komponisten und Gitarristen Agustín Barrios. Wie kommt die Verbindung zu diesem Komponisten und warum haben Sie sich entschieden, seiner Musik ein ganzes Album zu widmen?
Mein Album „El Bohemio“ ist das erste, das ich komplett einem Komponisten gewidmet habe. Hier bin ich wirklich tief in das Thema eingetaucht. Agustín Barrios ist wie Chopin für einen Pianisten oder Paganini für einen Geiger. Jeder Gitarrist kennt ihn. Aber ich habe ihn für mich entdeckt, noch bevor ich selbst Gitarre gelernt habe, weil mein Vater „La Catedral“ von Agustín Barrios gespielt hat – ein herausragendes Werk. Vor ein paar Jahren sollte ich dann etwas ganz anderes aufnehmen. Und eines Tages, an einem Sonntag zu Hause, begann ich aus Spaß das Gesamtwerk von Barrios zu lesen und ich spürte innerlich, dass es genau das war, was mich bewegte. Ich fühlte eine große Verbindung zu seiner Musik. Außerdem begann ich, über den Komponisten zu lesen. Er ist so eine Person, die einen in seine Träume mitnimmt, entlang seiner Musik. Sein Leben ist ein reiner Roman, voll von Geschichten. Ich habe das Projekt also komplett geändert und mich zu 100% auf Agustín Barrios und „El Bohemio“ eingelassen. Für mich ist er ein prägender Komponist und Gitarrist in der Geschichte des Instruments. Ich kann sagen, dass er heute der Segovia Lateinamerikas ist. Er ist eine echte Inspiration.
Sie sind sowohl als Solist mit großen Orchestern als auch in intimer Kammermusikbesetzung zu erleben. Wie unterscheiden sich diese Arten des Musizierens für Sie? Bevorzugen Sie eine davon?
Es sind drei verschiedene Dinge, mit einem Orchester zu spielen, ein Solokonzert zu geben oder in einer Kammermusik-Formation aufzutreten. Es ist schwer zu sagen, ob ich eines davon bevorzuge. Denn im Orchester verspüre ich viel Adrenalin, Aufregung und Energie und ich kann zusammen mit dem Dirigenten an der Klangfarbe dieses riesigen schönen Klangkörpers arbeiten. Kammermusik hingegen ist ein echtes Vergnügen: mit Freunden auf der Bühne zu stehen, Spaß zu haben, aber auch tief in die Musik einzutauchen, wenn man gemeinsam nach dem musikalischen Zweck sucht und eine großartige Kombination findet. Es ist eine gemeinsame Energie. Und durch das Solo entsteht ein Ort, den man ganz für sich allein hat. Man wird zum Meister des Raums und der Zeit und baut eine Beziehung zum Publikum auf, die jeden Abend anders und besonders ist. Es ist eine Art des Musizierens, bei der man zwar mehr Gewicht auf den eigenen Schultern trägt, aber dafür auch mehr Freiheit hat.
Sie kommen schon seit vielen Jahren in den Rheingau, um das Publikum hier mit Ihrer Musik zu begeistern. Was macht für Sie das Rheingau Musik Festival aus? Was schätzen Sie besonders an der Region?
Das Rheingau Musik Festival ist ein ganz besonderes Ereignis, bei dem man an unglaublichen Orten wie in Kirchen, Klöstern und Konzertsälen, umgeben von Weinbergen, auftritt. Ich habe jedes Konzert hier in bester Erinnerung behalten und konnte die Großzügigkeit des Publikums spüren. Ich muss auch sagen, dass wir uns jedes Mal sehr willkommen fühlen, dank des Festivalteams und des Publikums, das berührt mich sehr! Ich bin so froh, dass ich dieses Jahr wieder hier bin, um euch und Ihnen eine ganze Palette von Farben auf der Gitarre zu zeigen. Und wie könnte man sich einem Franzosen verführerischer zeigen, als mit einer bezaubernden Weinregion und einem wunderbaren Riesling?
„Ich bin so froh, dass ich dieses Jahr wieder hier bin, um euch und Ihnen eine ganze Palette von Farben auf der Gitarre zu zeigen. Und wie könnte man sich einem Franzosen verführerischer zeigen, als mit einer bezaubernden Weinregion und einem wunderbaren Riesling?“
Dieses Jahr bringen Sie Ihre Schüler mit zum Rheingau Musik Festival. Was macht dieses Konzert so besonders? Was möchten Sie jungen Nachwuchstalenten mit auf ihren musikalischen Weg geben?
Das Konzert mit meinen Studierenden aus Toulouse ist in mehrfacher Hinsicht etwas ganz Besonderes. Denn so etwas habe ich noch nie gemacht – ein spezielles Programm nur für dieses Konzert mit meinen Schülern zu erarbeiten. Was mir dabei auch wichtig ist: Sie werden an diesem Abend nicht einen Lehrer und seine Schüler auf der Bühne sehen, sondern fünf Musiker. Ein Künstler oder ein Schüler zu sein, geschieht im Kopf. Wenn du dich als Schüler betrachtest, bist du einer. Wenn man sich als Künstler betrachtet, wird man einer. Ich freue mich sehr auf dieses Konzert, denn man wird Persönlichkeiten entdecken. Und für sie ist es eine wunderbare Gelegenheit, bei einem so unglaublichen Festival zu spielen. Wir freuen uns alle darauf, diesen Moment mit Ihnen, liebes Publikum, zu teilen. Die Ratschläge, die ich geben kann, sind: Seid neugierig, seid überzeugt, um überzeugend zu sein, und wenn ihr nicht üben wollt, spielt!
Worauf freuen Sie sich als Fokus-Künstler des Rheingau Musik Festivals am meisten? Und worauf darf sich das Publikum Ihrer Konzerte besonders freuen?
Das diesjährige Rheingau Musik Festival wird für mich wie ein großes Feuerwerk voller Farben und Energie innerhalb der verschiedenen Konzerte sein. Ich habe sie mir wie verschiedene Welten vorgestellt oder wie Gemälde. Und mein Ziel ist es, Sie mit auf diese unglaubliche Reise zu nehmen. Von der emotionalen Kraft des „Concierto de Aranjuez“ bis hin zur Intimität der „Goldberg-Variationen“, durch den Glanz und die Vitalität von Paganini und Piazzolla oder die zarte Hitze Südspaniens zu gehen, ist etwas Unglaubliches. Lassen Sie uns dieses Festival gemeinsam in vollen Zügen genießen!
Vielen herzlichen Dank für das Interview!