Die Geschichte des Rheingauer Doms in Geisenheim

Doppelturm ist auf Siegeln und Grenzsteinen überliefert

Es ist wieder soweit: Mit unserer festlichen Bach-Trompeten Gala läuten wir am 2. und 3. Dezember den Beginn der Adventszeit ein. Ganz traditionell zusammen mit dem Bach-Trompetenensemble München und natürlich wieder im Rheingauer Dom in Geisenheim.

Die katholische Pfarrkirche Heilig Kreuz wird aufgrund ihrer Größe und ihrer beiden Türme seit dem 19. Jahrhundert „Rheingauer Dom“ genannt, auch wenn sie nie ein Bischofssitz war. Dieser Begriff hat sich nach dem umfassenden Umbau in den Jahren 1837 bis 1842 durch den in Geisenheim geborenen Architekten Philipp Hoffmann „eingebürgert“.

 

 

„Vielleicht bestand an dieser Stelle bereits im 8. Jahrhundert eine Eigenkirche des Ortsherrn, die im Frühmittelalter in die Hand des Erzbischofs geriet“, schreibt Dagmar Söder in der Denkmaltopographie des Rheingaus. Anlässlich der Übertragung an das Mainzer Domkapitel im Jahr 1146 wird die Pfarrkirche erstmals erwähnt. Von einem Um- oder Neubau im 12. Jahrhundert waren die beiden Westtürme noch bis ins 19. Jahrhundert erhalten. „Wenigstens von diesem imposanten Westwerk der Kirche haben wir eine gute Vorstellung, denn die beiden gedrungenen quadratischen Türme mit Zeltdächern sind auf zahlreichen Abbildungen, Grenzsteinen und Siegeln überliefert. Schon seit dem hohen Mittelalter ragte Geisenheim durch die Doppeltürmigkeit seiner Kirche unter allen Rheingau-Orten hervor“, schreibt der Historiker Dr. Manfred Laufs. Als früherer Stadtführer in Geisenheim und ehemaliger Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung der Rheingauer Heimatforschung hat er viel zur Geisenheimer Geschichte recherchiert und veröffentlicht.

Nach seinen Ausführungen war das Mainzer Domkapitel von 1146 bis zur Säkularisation 1803 Zehntherr in Geisenheim und als solcher verpflichtet, für Bau und Erhaltung von Chorraum, Sakristei und Pfarrhof zu sorgen; es bestimmte es den Pfarrer, stattete ihn mit ausreichendem Unterhalt aus und behielt die restlichen Einkünfte für sich. Als „epochales Ereignis“ für die Geisenheimer Kirche bezeichnet er die Errichtung des heutigen gotischen Bauwerkes; von 1510 bis 1512 ließ das Mainzer Domkapitel den Chor und die Sakristei erbauen.

Der Rheingauer Dom – so wird die Kirche Heilig Kreuz seit dem 19. Jahrhundert genannt.

Gemeinde ging das Geld aus

In den folgenden Jahren bis 1518 erbauten die „Edlen und Bürger“ der Gemeinde in den vorgegebenen Maßen drei Gewölbeeinheiten des dreischiffigen Langhauses mit hohen Seitenschiffen, so dass eine fast quadratische Hallenkirche entstand – eine für das Spätmittelalter typische Volks- oder Predigerkirche. Am Übergang vom Chor zum Langhaus brachte man auf dem Dach einen hohen, zierlichen achtseitigen Dachreiter an. Da der Gemeinde während der Bauarbeiten das Geld ausging, wurde das Hauptschiff nur mit einer flachen, verputzten Balkendecke abgeschlossen, die man um 1754 mit einer barocken Stuckdekoration versah. Diese Flachdecke befand sich noch über dem heutigen Gewölbe, wie man an dem Verputz, der bis unter das Dach reicht, noch erkennen konnte. Die Seitenschiffe erhielten aber schon die Emporen mit den Netzgewölben, auch die Räume darunter wurden schon eingewölbt.

Blick von der Orgel-Empore in den baulich und liturgisch ansprechend ausgestatten Dom.

Ab 1816 zeigten sich Schäden, vor allem am südlichen Turm; 1826 hatte sich auch noch die Hauptmauer zwischen den Türmen nach außen ausgebuchtet, und einzelne Steine waren herausgefallen. 1829 war der Zustand unhaltbar geworden – die Türme mussten abgerissen werden. Unverzüglich begann man mit dem Neubau einer schlichten zweitürmigen neugotischen Fassade, ohne die Kirche zunächst zu vergrößern. „Aber es gab ‚Murks‘ am Bau, nämlich Sprünge und Ausweichungen des Mauerwerks“, berichtet Manfred Laufs. „1830 wurde der Weiterbau polizeilich verboten. Die bürgerliche Gemeinde als Bauträgerin prozessierte gegen die Baufirma. 1835 kam es endlich zum Vergleich. Nun war der Weg frei zu einem Neuanfang.“

Der in Geisenheim geborene, bedeutende Architekt Philipp Hoffmann erstellte einen Bauplan für die Türme, die Kirchenerweiterung um zwei Joche und die Einwölbung des Langhauses. Nach seinen Plänen wurde zwischen 1837 und 1842 der umfassende Neubau ausgeführt. „Es war dies einer der ersten großen historisierenden Bauten des Landes von künstlerischem Rang. Die neugotische Doppelturmfassade erinnert mit ihrer Westrose an das Straßburger Münster“, schreibt Laufs. Nachdem der südliche Turm 1879 durch Blitzschlag beschädigt wurde, stellte Philipp Hoffmann ihn schlanker und reicher wieder her, indem er die vier Ecken des Obergeschosses mit spitzen Pyramiden schmückte und über dem hohen Fenster des Glockenstuhls noch einen Dreiecksgiebel anbrachte.

Die dank vieler frommer, wohlhabender und adeliger Stifter reiche liturgische Ausstattung mit spätgotischen, barocken und neugotischen Elementen kann an dieser Stelle nicht einmal ansatzweise beschrieben werden. Das älteste und sehr wertvolle Ausstattungsstück dürfte der Dreikönigsaltar im südlichen Seitenschiff sein, um 1480 von dem Südtiroler Bildschnitzer Hans Klocker geschaffen und 1869 von der gräflichen Familie von Ingelheim gestiftet. Zur barocken Raumausstattung des 17. und 18. Jahrhunderts zählt die Kanzel mit ihrem weit ausladenden Schalldeckel, ebenfalls eine Stiftung der Grafen von Ingelheim aus dem Jahre 1752 mit deren Familienwappen, dem Allianzwappen der Familien Ingelheim und Dalberg. Aus demselben Jahr stammt auch das Chorgestühl mit schwungvollem Gebälk und Rocaille-Schmuck. Auch die meisten Heiligenstatuen stammen aus dieser Zeit.

Der neugotische Hochaltar nach fränkischem Vorbild wurde von Bischof Peter Josef Blum gestiftet.

Aus der dritten Phase der Ausgestaltung des Kirchenraumes stammt das neugotische Prunkstück, der Hochaltar, der 1886 aufgestellt wurde und den Barockaltar ersetzt hat. Er ist von dem Nürnberger Bildhauer Rosemund nach dem Vorbild des berühmten spätgotischen Hochaltars der evangelischen St. Jakobskirche in Rothenburg ob der Tauber geschnitzt worden. Das Vorbild ist 1466 entstanden. Den Altar hat der aus Geisenheim stammende Limburger Bischof Peter Joseph Blum bereits 1870 gestiftet.

Als man das Langhaus erweitert und das neue Westwerk errichtet hatte, wurde 1839 eine Stumm-Orgel bestellt, die 1842 für 5800 Gulden geliefert und eingebaut wurde. Das 1960 ungeschickt „modernisierte“ Instrument wurde von 1985 bis 1987 von dem Bonner Orgelbauer Johannes Klais gründlich restauriert.

Grabstätten von Adeligen

Links: Künstlerisch bedeutungsvoll ist das Epitaph aus dem 17. Jahrhundert für Philipp Erwein von Schönborn und seine Frau Ursula. Rechts: Der Grabstein für den 1496 verstorbenen Wilhelm von Scharfenstein ist das älteste noch erhaltene Grabdenkmal.

Außer den Pfarrern hatte auch der Adel das Recht, in der Kirche begraben zu werden. Es gab früher eine größere Anzahl von Grabdenkmälern, Gräbern und Grabplatten im Chorraum; auch Bestattungen vor dem Chorraum und in der Mitte der Kirche hat es gegeben. Das älteste heute noch zu sehende Exemplar ist der Grabstein des Wilhelm von Scharfenstein, der 1496 im Alter von 82 Jahren gestorben ist. Seit 1936 befindet sich die ehemalige Tumbenplatte an der Innenwand der Westvorhalle. Aus dem 16. Jahrhundert stammt das vielleicht schönste und anrührendste Grabdenkmal auf der Nordseite des Chorraumes, das Epitaph Friedrichs des Älteren von Stockheim und seiner Frau Irmel von Carben. Der Doppel-Grabstein wurde 1536 gefertigt. Als das künstlerisch bedeutungsvollste Grabdenkmal gilt das aus dem 17. Jahrhundert stammende Epitaph für den kurmainzischen Oberamtmann Philipp Erwein von Schönborn und seine Frau Ursula, geborene Greiffenclau von Vollrads, Mutter von 17 Kindern. Das Hochrelief aus weißem Marmor stellt in einer geradezu stürmischen Szene das kniende Ehepaar dar – er in barocker Rüstung, sie in Witwentracht. Beide schauen zu ihrem Erlöser Christus auf, der in den wild bewegten Wolken erscheint und auf den Lanzenstich auf seiner Brust deutet. Eine zu diesem Epitaph passende Grabplatte ist an der südlichen Außenwand des Doms angebracht. Neben dieser Grabplatte ist seit 2004 nach gründlicher Restaurierung auch die Grabplatte für den 1712 verstorbenen Sittich Herbold Graf von Berlepsch angebracht. Über den Schweifungen des Chorgestühls und an der Nordwand des Chores befinden sich noch weitere Epitaphien und Grabdenkmäler des Adels, beispielsweise für den 1742 verstorbenen Graf Heinrich Karl von Ostein.

Wie üblich, war auch in Geisenheim die Kirche vom Friedhof umgeben. Im Laufe des 15. Jahrhunderts wurde südlich der Kirche ein Beinhaus mit einer Michaelskapelle errichtet. Nachdem 1791 beides verfallen war, wurde es 1815 abgerissen. Da der Kirchhof alle sieben Jahre voll belegt war, wurde er 1819 vor die Siedlung verlegt und ist bis heute als „Alter Friedhof“ erhalten.

Der Bischof-Blum-Platz vor der Kirche hieß früher „Marktplatz“. Dort findet normalerweise freitags ein viel besuchter Wochenmarkt statt, der vorübergehend bis zum Frühjahr 2023 auf das Gelände hinter das Rathaus verlegt wurde. Bis dahin wird der Platz vor dem Dom nach den Wünschen der Geisenheimer Bürgerinnen und Bürger attraktiver und grüner gestaltet.

 

Quellen: Veröffentlichungen von Dr. Manfred Laufs. Denkmaltopographie für den Rheingau-Taunus-Kreis, Altkreis Rheingau, von Dagmar Söder.

Text und Fotos: Christa Kaddar

 

 

 

Dieser Text ist als Orginalbetrag im Rheingau Echo am 4.11.2022 erschienen. Autorin ist Christa Kaddar. Wir bedanken uns beim Zeitungsverlag und bei der Autorin für die Bereitstellung von Text und Fotos.