© Alexander Kilian

In diesem „Sommer voller Musik“ widmen wir dem sympathischen Stargeiger Daniel Hope als Fokus-Künstler einen Schwerpunkt. In fünf Konzerten wird er mit unterschiedlichen Programmen im Rheingau zu erleben sein und Einblicke in sein facettenreiches Spiel geben. Wir habe ihn vorab zu einem Interview getroffen.

© Alexander Kilian

Lieber Herr Hope,
durch die Arbeit Ihrer Mutter bei Yehudi Menuhin kamen Sie sehr früh in Berührung mit der Geige. Wann stand für Sie fest, dass sie Geiger werden wollen und die Musik nicht als Hobby nebenher behalten möchten?
Eigentlich ab meinem vierten Lebensjahr, als ich zum ersten Mal eine Geige in den Händen hielt. Mit 15 Jahren habe ich mein erstes professionelles Konzert gespielt – spätestens dann war es mit dem „Hobby“ vorbei: Es wurde zur Leidenschaft.

Was waren die größten Hürden und großen Herausforderungen in ihrer Laufbahn?
Jeder Künstler sowie jede Karriere erfährt Rückschläge. Daraus lernt man und daran wächst man auch. Sicherlich war es eine Hürde, als unabhängiger Musiker akzeptiert zu werden, obwohl meine Mutter – durch Zufall – für einen der berühmtesten Geiger der Welt gearbeitet hat. Aber je mehr Steine mir in den Weg gelegt wurden, desto entschlossener war ich, niemals aufzugeben!
Die nächste Herausforderung später in meinem Leben war, den Mut zu behalten, einen ganz anderen Weg als die meisten Kollegen zu gehen, was sowohl die Gestaltung, als auch den Inhalt meiner Programme anging.

Yehudi Menuhin war ohne Frage ein großer Mentor für Sie. Was waren die wichtigsten Dinge, die er Ihnen mit auf den Weg gegeben hat?
Menuhin war besonders sympathisch und generös. Er erkannte, dass ich ein kleiner Junge war, der Musik liebte und unterstützte mich sehr. Man kann allen Eltern nur raten, wenn Kinder sich für Musik begeistern und spielen möchten, sie ein Instrument ausprobieren zu lassen. Ob sie durchhalten oder später lieber Fußball spielen, lässt sich nicht vorhersagen. Aber Musik öffnet ihren Geist – und darum geht es. Yehudi Menuhin hat natürlich fantastisch gespielt und Musik gemacht wie kaum ein anderer. Aber es ging ihm vor allem darum, was Musik bedeuten kann. Er hat frühzeitig erkannt, dass Musik die Menschen berühren kann. Deshalb hat er 1977 den Verein „Live Music Now“ gegründet, der in ganz Europa Musik aus den Konzertsälen holt und an Orte bringt, wo sonst keine Musik erklingt: in sozialen Einrichtungen wie etwa Krankenhäusern, Altenheimen oder Behindertenstätten. Er hat mir vorgelebt, dass ein Musiker auch ein soziales Gewissen haben sollte.

Ihre familiären Wurzeln sind sehr weit verzweigt. Sie sind in Südafrika geboren, in London aufgewachsen, leben jetzt mir irisch-deutscher Staatsbürgerschaft in Berlin und ihre Vorfahren lebten teils in den USA, teils in Irland, teils in Deutschland. Inwiefern prägt Sie diese bunte Vergangenheit persönlich und welchen Einfluss hat das auf ihre Konzerte und die Musik, die Sie spielen?
Ich hatte mich bis vor kurzem intensiv mit der deutschen Geschichte meiner Familie auseinandergesetzt, weniger mit meinen irischen Wurzeln. Ich spürte immer, dass es eine wichtige irische Ader in mir gibt. Deshalb habe ich mich im vorigen Jahr zusammen mit meinem Vater in Irland auf seine Spuren begeben. Wir haben tatsächlich das Haus seines Großvaters Danny McKenna gefunden, nach dem ich benannt wurde. Dank des Bürgermeisters in Waterford haben wir auch noch Informationen über meinen Urgroßvater bekommen. Ich habe die Reise aber auch genutzt, um mehr über die irische Musik zu erfahren, indem ich tolle irische Musiker getroffen habe, um mit Ihnen Musik zu machen. Irland ist ein so ein fröhliches Land, die Zeit dort tat uns extrem gut. Und die Erfahrungen flossen und fließen in mein Spiel mit hinein.

Ihre Programme sind immer sehr durchdacht und folgen einem roten Faden. Wie gehen Sie bei der Zusammenstellung der Programme/Ihrer CD’s vor? Wie inspirieren Sie sich dafür?
Ich recherchiere fast täglich, höre enorm viel Musik und lass mich ebenfalls von vielen Künstlerinnen und Künstlern überraschen und inspirieren. Ich kann nicht immer vorhersagen, wann die Zeit für ein gewisses Projekt gekommen ist. Manchmal bedarf es eines „Triggers“, eines Auslösers. Das „Spheres“ Projekt hatte ich beispielsweise über 25 Jahren im Kopf. Nicht auf eine vollendete Art und Weise natürlich, aber als Idee mit den Planeten, der Sphärenmusik, Pythagoras und den Sternen. Dann, beim Autofahren, hörte ich durch Zufall eine hochinteressante BBC-Radiosendung, in der Wissenschaftler darüber stritten, ob es dieses Phänomen der Sphärenmusik überhaupt gibt und wenn ja, wie man es beweisen könnte. Und plötzlich hatte ich die Idee, Musikwerke zusammenzubauen, die einen sozusagen anderswohin transportieren. Ich verliere das Interesse nicht schnell, ganz im Gegenteil. Es dauert manchmal extrem lang – aber dann lasse ich nicht mehr los.

Welcher Komponist wird Ihrer Meinung nach heute zu wenig gespielt und wäre (wieder) eine Entdeckung wert?
Derzeit faszinieren mich am meisten die weiblichen Komponistinnen. Lili Boulanger, Dora Pejačević, Ethel Smyth, Florence Price, Rebecca Clarke, und und und. Die Liste ist unendlich…

 

© Alexander Kilian

Das Vermitteln von Musik und die Leidenschaft für diese an das Publikum weiterzugeben ist für Sie eine Herzensangelegenheit. War das schon immer so oder ist Ihnen das erst im Laufe Ihrer Karriere wichtiger geworden?
Wichtig war mir das schon immer. Aber über die Jahre ist es noch wichtiger geworden. Es gibt in der klassischen Musik leider noch ein gewissen Snobismus: Klassik-Einsteiger haben es oft schwer gegenüber Menschen, die mit der Klassik groß geworden sind und die meinen, alles besser zu wissen. Ich sehe das anders: Klassische Musik ist für alle da. Aber der wahre Zugang dazu muss in der Schule anfangen. Schon lange vor der Pandemie habe ich mich gefragt, warum die Menschen, vor allem die jüngeren, immer seltener die Gelegenheit nutzen, klassische Musik zu erleben. Als Gründe wurden viele genannt: Hausmusik sei zur Ausnahme geworden, der Musikunterricht in den Schulen weggespart, klassische Konzerte abschreckend, weil antiquiert, Oper häufig elitär, Kartenpreise zu hoch. Vielleicht ist die wahre Krise, wie nachlässig wir mit der Musik und ihrer Vermittlung in den letzten Jahrzehnten umgegangen sind? Haben wir uns möglicherweise selbst irrelevant gemacht? Der Zweck der Kunsterziehung ist es nicht, mehr Künstler zu produzieren, sondern Menschen auszubilden, die fähig sind, ein erfülltes und verantwortungsvolles Leben in einer freien Gesellschaft zu verwirklichen. Wenn wir uns in einer globalen Welt durchsetzen wollen, brauchen wir Kreativität, Einfallsreichtum und Innovation. Die Rolle von Kultur sollte weit über das Wirtschaftliche hinausgehen – ihr Fokus sollte der Wert sein, und nicht der Preis, den ein Markt definiert. Es gibt nur eine soziale Kraft, die stark genug ist, um ein Gegengewicht zu der Vermarktung von kulturellen Werten darzustellen – und das ist unser Bildungssystem.
Wir befinden uns im Jahr 2023, und in unseren Schulen werden Kinder oft unzureichend in Musik, in bildender Kunst, in Tanz oder in den literarischen Künsten ausgebildet. Wie soll die nächste Generation unsere Kultur auf Händen tragen, wenn ihr die Hände bereits jetzt gebunden sind?

© Alexander Kilian

Wie schaffen Sie es Reisen, Konzerte, Familienleben, Üben und CD-Aufnahmen unter einen Hut zu bringen? Müssen Sie hier und da auf Dinge verzichten?
Wenn ich das nur wüsste…

Sie haben Ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Ist die Musik auch im Alltag Ihr Ausgleich oder gibt es andere Aktivitäten, die Ihnen Ausgleich verschaffen?
Meine Familie gibt mir die Kraft und das Gleichgewicht. Ohne sie wäre nichts denkbar.

Als „Grenzgänger“ erkunden Sie mitunter auch die Grenzen zwischen Klassik und Jazz. Schon früh spielte Improvisieren für Sie eine Rolle. Improvisieren Sie auch in der Klassik? Beispielsweise in einer Kadenz in einem Mozart-Violinkonzert?
In der Tat. Vor allem in der Barockmusik.

Sie treten nicht nur mit Orchestern auf, sondern auch in kleiner Kammermusikbesetzung oder im Duo mit Klavier. Wie unterscheiden sich diese Arten des Musizierens für Sie? Bevorzugen Sie eine davon?
Nein. Musik ist Musik. Und der größte Luxus eines Musikers ist es, spielen zu dürfen, was man will, mit wem man will. Das war immer mein Ziel, und ich fühle mich sehr privilegiert, dieses erreicht zu haben.

 Zum Schluss: Worauf darf sich das Publikum des Rheingau Musik Festivals bei Ihren Konzerten besonders freuen? Und worauf freuen Sie sich ganz besonders?
Ich bin schon lange eng mit dem Rheingau Musik Festival verbunden. Ich liebe es, dort zu musizieren. Und da ich in diesem Jahr 50 Jahre alt werde, wird es ein Jahr voller Festlichkeiten. Dass ich diesen Sommer nun fünf so unterschiedliche Programme mit einer Vielzahl von Partnern im Rheingau spielen darf, erfüllt mich jetzt schon mit Freude!

Daniel Hope beim Rheingau Musik Festival 2023

K 3 | 25.6. | So. 19 Uhr
Kurhaus Wiesbaden, Friedrich-von-Thiersch-Saal

Daniel Hope, Violine & Leitung
Alexey Botvinov, Klavier
New Century Chamber Orchestra

Bernard Herrmann Vertigo Suite
Tan Dun Doppelkonzert für Violine, Klavier, Streichorchester und Perkussion
John Williams „With Malice Toward None“
Duke Ellington „Sophisticated Lady“
George Gershwin Suite „An American in Paris“ (Arr. Clarice Assad)

K 66 | 21.7. | Fr. 20 Uhr
Wiesbaden, Lutherkirche

Irish Roots
Daniel Hope, Violine & Leitung
Air Ensemble

Irische Traditionals und Werke von Henry Purcell, Domenico Scarlatti, James Oswald, Antonio Vivaldi, Turlough O’Carolan u.a.

K 68 | 22.7. | Sa 19 Uhr
Kurhaus Wiesbaden, Friedrich-von-Thiersch-Saal

America
Daniel Hope, Violine & Leitung
Zürcher Kammerorchester

Werke von Florence Price, Leonard Bernstein, Duke Ellington, Kurt Weill, Aaron Copland und George Gershwin

K 110 | 8.8. | Di. 19 Uhr
Schloss Johannisberg, Fürst-von-Metternich-Saal

Daniel Hope, Violine
Sylvia Thereza, Klavier

Werke von Antonín Dvořák, Aaron Copland, Maurice Ravel, Jake Heggie, George Gershwin, Hanns Eisler u. a.

K 137 | 20.8. | So. 19 Uhr
Kurhaus Wiesbaden, Friedrich-von-Thiersch-Saal

Daniel Hope, Violine
Schleswig-Holstein Festival Orchestra
Christoph Eschenbach, Leitung

Benjamin Britten Violinkonzert d-Moll op. 15
Anton Bruckner Sinfonie Nr. 5 B-Dur

Foto: Bomsori Kim © Kyutai Shin

Bomsori Kim gewährt uns einen exklusiven Blick hinter ihre geheimnisvolle Fassade und spricht mit uns über Fokus und Leidenschaft und überrascht uns mit ihrer Antwort auf die Frage nach einem sportlichen Ausgleich zum Geigenspiel.

Vier Fragen an Bomsori Kim

Auf der Bühne wirken Sie immer sehr leidenschaftlich und gleichzeitig absolut fokussiert. Wie machen Sie das?
Ich denke, Leidenschaft und Fokus können nicht ohne einander existieren. Nur, wenn du dich absolut auf etwas fokussierst, kannst du dafür eine Leidenschaft entwickeln. Wenn ich auf der Bühne stehe, ist mir alles andere egal. Ich bin dann absolut konzentriert auf die Musik, die ich in diesem Moment spiele. Alles andere um mich herum verschwindet und wird unwichtig und unwirklich.

Was denken Sie in dem Moment, bevor Sie die Bühne betreten?
Das ist die größte Frage für alle Musiker. Wenn es ein Geheimrezept für den Moment vor dem Auftritt gibt, dann möchte ich es unbedingt wissen! Für mich ist es jedes Mal anders. Mein Körper kann sich jedes Mal anders anfühlen, genauso wie mein mentaler Zustand, meine Kondition. Wir können niemals vorher wissen, was auf der Bühne passieren wird. Das ist so unvorhersehbar und kontrollieren kann ich es sowieso nicht. Auf der Bühne versuche ich mich zu fokussieren, höre den Kollegen genau zu. Das ist, was ich tue: Ich konzentriere mich auf den Klang des Klaviers oder des Orchesters. Die Kollegen musizieren großartig und inspirieren mich. Was sie geben, ist immer ein bisschen anders und ich bin immer wieder erstaunt, was für wunderbare Dinge dann auf der Bühne geschehen. Es ist niemals gleich. Fokus ist der Schlüssel zu diesen besonderen Momenten.

Das Leben auf Tour und das Geigespielen an sich sind mental und physisch sehr anstrengend. Was machen Sie als Ausgleich?
Ich bin ein großer Fan von Kampfsport. Diese Art von Sport begeistert mich schon seit ich ein Kind war. Mein Vater hat mich früher immer zu seinem Training mitgenommen. Schon damals liebte ich die Meditationen und die speziellen Atemtechniken, die mich sehr beruhigen. Nicht nur körperlich, sondern auch mental. Ich bin der Überzeugung, dass dieses Atmen für meine mentale Ruhe und innere Stärke sehr wichtig ist. Außerdem mache ich Yoga – ich möchte sehr flexibel sein, das gibt mir größere Freiheiten beim Geigespielen.

Praktizieren Sie auch den kämpferischen Part des Kampfsports?
Oh ja, natürlich! Das ist das, was am meisten Spaß macht! Ich mache allerdings nicht die richtig harten Sachen, das brauche ich nicht und ich möchte keine Verletzungen riskieren. Ich mache Thai Chi, eine eher defensive Kampfkunst, die meinen Körper fordert aber ihm nicht wehtut.

Bomsori Kim © Kyutai Shin
Bomsori Kim © Kyutai Shin

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Unsere Fokus-Künstlerin Bomsori Kim spricht über Mozart und sein Violinkonzert Nr. 1 B-Dur KV 207.

Bomsori Kim haben wir zum ersten Mal 2019 im Rheingau willkommen geheißen. Ihr Debüt war einer jener Abende, die man so schnell nicht vergisst. Mozarts Violinsonaten standen auf dem Programm und Bomsoris Spiel hat das Publikum von den Stühlen gerissen. Und nicht nur das Publikum, auch wir waren begeistert und haben sie gleich ein zweites Mal eingeladen. In unserem Konzertstream „All about Mozart“ erleben Sie Bomsori Kim im Gespräch mit der Hornistin Sarah Willis und als Solistin mit Wolfgang Amadeus Mozarts Violinkonzert Nr. 1 B-Dur KV 207.

Stimmen Sie sich schon jetzt auf die Konzerte unserer Fokus-Künstlerin ein und wecken Sie Ihre Vorfreude auf den Sommer.

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