Ihr Lachen ist ansteckend, ihr Auftreten äußerst sympathisch und ihre musikalischen Interpretationen sind außergewöhnlich. Sie macht ihrem Namen alle Ehre: Sol Gabetta strahlt, wenn sie die Bühne betritt, ihre Augen leuchten, wenn sie ihrem Publikum gegenübersteht. Das Erfolgsrezept der Cellistin: Leidenschaft, Charisma, Respekt. Respekt vor der Musik, vor ihrem Instrument, vor den Menschen, für die sie spielt, und vor sich selbst. In drei Konzerten bringt sie in diesem Sommer als Fokus-Künstlerin zusammen mit ihrem Cello, das sie liebevoll „Herr Gabetta“ nennt, ihr musikalisches Strahlen auf die Bühnen des Rheingau Musik Festivals.

Sol Gabetta ist überzeugt: „Musik zu machen, ist ein Spiegel unserer Persönlichkeit.“ Denn die Gesamtheit der eigenen Erfahrungen macht jeden Menschen zu dem, was er ist. Sie prägen einen das ganze Leben lang, verändern Sicht- und Handlungsweisen und nehmen somit Einfluss auf die Persönlichkeit. Und das findet wiederum seinen Ausdruck beim Musizieren: In jeder Aufführung eines Werkes schwingen hunderte von Erfahrungen in der Musik mit. Nicht nur die der Musikerinnen und Musiker, die das Werk interpretieren, auch die des Komponisten und die der Menschen im Publikum. Das machen Musik und Kunst generell zu etwas so Besonderem. „Musik erinnert die Menschen daran, dass sie ein Herz haben. Und dass es Dinge, Gefühle, Spiritualität gibt, die ihren Verstand übersteigen“, sagt die Cellistin.

Für Sol Gabetta gibt es aber noch eine weitere Komponente, die beim Musizieren eine gewichtige Rolle spielt: eine gewisse Neugier, die Lust, sich auszuprobieren, der Hunger auf mehr. „Ich brauche Musiker um mich herum, die mit ihrer Musik etwas zum Ausdruck bringen wollen, die einem Idealismus folgen.“ Das umfasst nicht nur eine intensive Auseinandersetzung mit der Musik, mit Komponistenbiografien und der Zeit, in der die Werke entstanden sind, sondern bedeutet auch, das, was man tut, zu hinterfragen, neu zu denken, Perspektiven zu wechseln. So beschäftigt sich die Cellistin in der Sendung „KlickKlack“ von BR-Klassik, die sie seit 2010 im Wechsel mit Schlagzeuger Martin Grubinger moderiert, mit verschiedensten Interpretinnen und Interpreten unserer Zeit, mit bemerkenswerten musikalischen Projekten und besonderen Konzertformaten. Außerdem initiiert sie auch selbst immer wieder neue Festivals und spannende Konzertprojekte, etwa ihr 2006 gegründetes SOLsberg Festival im schweizerischen Olsberg oder das 2021 ins Leben gerufene Format PRESENZA mit dem Orchestra della Svizzera italiana in Lugano, in dem die Grenzen des klassischen Konzerts neu ausgelotet werden.

Dass Sol Gabetta viele ihrer Projekte in der Schweiz verwirklicht, kommt nicht von ungefähr. Seit vielen Jahren lebt die in Argentinien geborene Cellistin französisch-russischer Eltern nun schon dort, und seit 2018 besitzt sie auch die Schweizer Staatsbürgerschaft. Für die Cellistin ist klar: Wenn es um klassische Musik geht, kommt man an Europa nicht vorbei. Dort gibt es auf kleinstem Raum so viele bedeutende Kulturzentren, so viele verschiedene Kulturen, die aufeinandertreffen, so viel unterschiedliche Musik, die es sich lohnt zu entdecken.

„Als Musikerin ist man ständig damit konfrontiert, mit unterschiedlichen Nationalitäten und deren Kulturen zu tun zu haben“, sagt Sol Gabetta, die selbst sechs Sprachen fließend spricht und schon in mehreren Ländern dieser Welt gelebt hat. Ihr Geburtsland Argentinien hat sie bereits mit elf Jahren gemeinsam mit ihrer Mutter – selbst Pianistin – und ihrem älteren Bruder Andrés verlassen. Das Ziel: die Escuela Superior de Musica Reina Sofia in Madrid, an der die beiden begabten Kinder ein Stipendium für ein Musikstudium erhalten hatten. „Es ging dabei nicht um eine internationale und solistische Karriere ihrer Kinder, sondern darum, uns eine Zukunft mit der Musik zu geben.“ Nachdem sich Sol als kleines Mädchen zunächst an der Geige ihres Bruders versucht hatte, verliebte sie sich mit viereinhalb Jahren in das Cello. Ihr weiterer Weg führte sie schließlich von Madrid nach Basel, wo sie bei Ivan Monighetti studierte, der bis heute Freund und Mentor geblieben ist, bevor sie ihr Examen bei David Geringas in Berlin absolvierte.

Vor kurzem noch spielte Sol Gabetta bis zu 130 Konzerte im Jahr, mittlerweile sind es sehr viel weniger geworden. „Ich musste lernen, in sehr wenig Zeit sehr effektiv zu sein. Und diese Effektivität bedeutet für mich, eben nicht mehr Konzerte zu spielen, sondern eher, mich selbst besser kennenzulernen und zu wissen, wie viel Zeit ich brauche – für jedes Stück oder auch für jedes Projekt.“

 

Sol Gabetta beim Rheingau Musik Festival 2023

K 102 | 5.8. | Sa. 19 Uhr
kING Kultur- und Kongresshalle Ingelheim am Rhein

Veronika Eberle, Violine
Antoine Tamestit, Viola
Sol Gabetta, Violoncello

K 151 | 30.8. | Mi. 19 Uhr
Schloss Johannisberg
Fürst-von-Metternich-Saal

Sol Gabetta, Violoncello
Kristian Bezuidenhout, Hammerflügel

K 154 | 31.8. | Do. 20 Uhr
Kurhaus Wiesbaden
Friedrich-von-Thiersch-Saal

Veronika Eberle, Violine
Antoine Tamestit, Viola
Sol Gabetta, Violoncello

© Sebastian Haenel

In fünf Konzerten im Sommer und an einem weihnachtlichen Abend im Dezember zeigt unsere Fokus-Künstlerin Sarah Willis, wie sie als Hornistin der Berliner Philharmoniker nicht nur im Bläserensemble, sondern auch mit kubanischem Orchester sowie Musikerinnen und Musikern der Karibikinsel den Konzertsaal in Freudentaumel versetzen kann. Uns stand sie vor den Konzerten im Interview Rede und Antwort.

© Monika Rittershaus

Liebe Frau Willis,
anfangs haben Sie zunächst Klavier gespielt. Warum ist die Wahl dann doch auf das Horn gefallen? Wann wuchs in Ihnen der Wunsch, Musikerin zu werden?
Das stimmt! Eigentlich habe ich erst Klavier gespielt – und das auch gar nicht so schlecht, würde ich sagen. Ich wollte zunächst Pianistin werden und brauchte für das Studium an der Hochschule in England noch ein zweites Instrument. Mein Lehrer meinte, Oboe, Flöte oder Klarinette wären noch zu haben, aber das hat mich überhaupt nicht interessiert. Ich fand Harfe spannend! Mein Vater aber war dagegen, denn Harfe sei erstens zu teuer, zweitens müsse er dafür dann ein neues Auto kaufen und drittens müsse er die Harfe dann für mich überall mithinschleppen. Mein Lehrer erwähnte dann noch das Horn, war aber der Ansicht, dass sei nichts für Mädels, sondern nur etwas für Jungs. Da wurde ich neugierig! Meine erste Horn-Stunde war super! Ich hatte einen tollen Lehrer und habe auch sofort einen Ton herausgebracht. Mir wurde sehr schnell klar: Das ist mein Instrument! Den Wunsch Musikerin zu werden, habe ich direkt bei der ersten Probe des Jugendorchesters gespürt. Durch das Spielen im Orchester ergaben die vielen Übungsstunden mit Tonleitern und Technik plötzlich einen Sinn.

Durch die Beschäftigung Ihres Vaters als australischer Auslandskorrespondent sind Sie in Ihrer Kindheit viel herumgekommen und lebten unter anderem in Tokio, Boston und Moskau. Welche Spuren haben diese frühen internationalen Erfahrungen bei Ihnen bis heute hinterlassen?

Mein Vater war ein unglaublich guter Korrespondent, guter Journalist und ein super Interviewer. Er hat immer Persönlichkeiten mit nach Hause gebracht, die er interviewt hat und wir haben diese Menschen kennengelernt. Ich habe meinen Vater bei seiner Arbeit beobachtet und gesehen, dass er diese Menschen nie anders behandelt als andere. Insofern habe ich gelernt, dass berühmte Menschen auch ganz normale Menschen sind, den man auch gute Fragen stellen kann. Und mein Vater hat nie Fragen gestellt, bei denen man die Antwort schon irgendwo lesen konnte – auch wenn es damals noch kein Internet gab. Ihm war es wichtig, immer eigene und interessante Fragen zu formulieren. Als ich ihn fragte, wie man gute Interviewfragen stellt, hat er mir gerate, einfach das zu fragen, was ich gerne wissen wollen würde. Und das habe ich mir bis heute beibehalten. Ich frage ungerne Dinge, die man googeln kann. Wenn ich jemanden interviewe, dann möchte ich wissen, was diesen Menschen ausmacht, wie er tickt; das ist es, was mich interessiert.
In vielen Ländern zu wohnen klingt natürlich ganz toll, aber als Kind heißt das, dass man alle paar Jahre die Schule wechseln, Freunden Tschüss sagen und neue Freunde finden muss. Durch meine zwei Geschwister war ich zwar nie alleine; aber man wird gezwungener Maßen sehr kommunikativ. Als wir aus den USA nach London gegangen sind, war das ein totaler Kulturschock – obwohl ich Engländerin bin. Als Kind muss man erstmal lernen, damit umzugehen und mein Weg war es, kommunikativ zu bleiben und ich glaube, das hat auch bis heute Spuren bei mir hinterlassen.

Als Hornistin sind sie aus dem Orchester nicht mehr wegzudenken. Wie unterscheidet sich aber das Musizieren für Sie in kleinen, kammermusikalischen Besetzungen?
Bei den Berliner Philharmonikern haben wir das Glück, dass wir mit besten Dirigenten und Solisten der Welt zusammenarbeiten, aber das heißt immer, dass wir (meistens) das machen, was der Dirigent möchte. Er hat ein Konzept und das erarbeitet er mit uns. Kammermusik zu spielen heißt, dass wir keinen Dirigenten haben und auf uns angewiesen sind. Wir sind Dirigent, wir haben das Konzept in der Hand, wir diskutieren viel. Und das ist eine unglaublich wichtiger Teil. Als Orchestermusiker viel Kammermusik machen zu können ist ein großes Glück! Im großen Orchester muss man mehr oder weniger das machen, was in den Noten steht – außer man hat ein großes Solo –, aber man spielt meistens mit. In der Kammermusik spielt man zwar auch mit, aber man hat viel mehr Chancen, seine eigenen Ideen einzubringen und das ist ganz wichtig. Es ist sehr intim und sehr viel offener. Das mag ich sehr gern. Die Möglichkeit zu haben, Musik im kleinen Kreis zu machen ist, für jeden Musiker etwas ganz, ganz Wichtiges.

Gibt es für Sie einen Komponisten (außer vielleicht Mozart), den Sie besonders verehren, weil er besonders schöne Werke für das Horn geschrieben hat? Welche Hornstellen großer Orchesterwerke mögen Sie besonders?
Es ist fast unmöglich, einen Lieblingskomponisten zu haben; das wird sicher fast jeder Musiker so sehen. Bei mir hängt es davon ab wie ich mich fühle, was auf dem Dienstplan steht, was ich gerade so spiele. Aber für das Horn gibt es wunderbare Komponisten. Dazu zählt natürlich Mozart, aber auch Brahms oder Bruckner, Mahler, Strauss und Wagner haben unglaublich tolle Werke für Horn geschrieben. Und besonders schöne Hornstellen in Orchesterwerken gibt es auch sehr viele! Da denke ich zum Beispiel direkt an das Solo in Richard Strauss‘ Lied „September“ aus den „Vier letzten Liedern“. Aber auch im „Heldenleben“ von Strauss gibt es ein fantastisches Solo, genauso wie das „Alphornsolo“ im letzten Satz der ersten Sinfonie von Brahms, oder der Hornruf in Wagners „Siegfried“ wunderbar sind. Es gibt einfach so viele unglaublich schöne Hornstellen. Aber dafür bräuchte man ein eigenes Interview… (lacht)

Das Vermitteln von Musik und die Leidenschaft für diese an das Publikum weiterzugeben ist für Sie eine Herzensangelegenheit. War das schon immer so oder ist Ihnen das erst im Laufe Ihrer Karriere wichtiger geworden?
Mir ist es schon immer wichtig, dass man in der Musik kommuniziert – und zwar nicht nur mit dem Instrument, sondern dass man auch seine Begeisterung für die Musik teilt. Aber das war zu meinen Studienzeiten und meinen Anfängen als Hornistin nicht weit verbreitet. Im Orchester hat man dafür sowieso kaum Gelegenheit, man spielt einfach, was in den Noten steht. Aber als ich 2013 mit dem Youtube Symphony Orchestra in Australien war, habe ich als Mentorin im Kammerkonzert etwas über die Werke erzählt und darüber gesprochen. Das fiel mit nicht nur leicht, sondern hat mir auch Spaß gemacht. Als dann klar wurde, dass für das große Abschlusskonzert eine Moderatorin fehlte, wurde ich gefragt. Hätte ich gewusst, dass mich rund 33 Millionen Zuschauer erwarteten, hätte ich vor Aufregung wohl meinen eignen Namen nicht mehr gewusst…. (lacht). Aber ich hatte Spaß und ich habe gemerkt, wie gut man dadurch die Leute erreichen kann. Es ist so wichtig, unsere Leidenschaft auch in Worten rüberzubringen und nicht nur durch die Musik allein. Gerade in unserer digitalen Welt heißt für mich Musik nicht mehr „nur“ auf die Bühne gehen und spielen, sondern auch die Distanz zwischen Publikum und Bühne so klein zu machen wie möglich, damit wir alle zusammen im Moment und in der Musik sind.
Und in der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker durfte ich Interviews mit Kollegen und anderen Leuten vom Fach machen. Das kam beim Publikum sehr gut an. Daher freue ich mich, dass ich auch diesen Sommer in meinen Konzerten beim Rheingau Musik Festival wieder so viel erzählen und hoffentlich meine Begeisterung und Leidenschaft teilen darf.

© Monika Rittershaus

Sie haben Ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Ist die Musik auch im Alltag Ihr Ausgleich oder gibt es andere Aktivitäten, die Ihnen Ausgleich verschaffen?
Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe das Glück, dass das was ich mache, das ist, was ich liebe. Es ist nicht nur ein „Job“. Was ich tue, ist wie ich bin. Und dass ich davon die Miete zahlen kann, ist natürlich wunderschön und ein großes Privileg. Für Hobbys habe ich eigentlich keine Zeit, weil ich so viel mit Musik mache und inzwischen auch als Moderatorin und als Fernsehemacherin über klassische Musik tätig bin. Da bleibt wenig Zeit für „Ausgleich-Hobbys.“ Aber das Schöne an Musik ist ja, dass es so viele verschiedene Arten gibt. Zu Hause höre ich kaum Musik, weil ich die Stille dort gern mag. Aber wenn ich zu Hause Musik höre, dann ist es kubanische Musik. Das ist eine meiner großen Leidenschaften und macht immer gute Laune. Und es ist auch gesund, weil ich mich dazu bewege: Ich tanze um die Küche und das kann man dann auch gleich Sport nennen (lacht). Daher brauche ich auch keinen Ausgleichs-Sport.

Spätestens seit 2017 ist Kuba zumindest musikalisch eine zweite Heimat für Sie geworden. Was waren oder sind die großen Herausforderungen, denen Sie bei den verschiedenen Projekten auf der Karibikinsel begegnet sind?
Kuba ist nicht nur musikalisch eine zweite Heimat für ich geworden, sondern ich fühle mich dort einfach unglaublich zu Hause. Ich liebe die Menschen und die Insel, das Wetter und die Musik! Auch wenn ich natürlich mit Sorgen sehe, was dort zurzeit alles passiert.
Dennoch ist auf Kuba einfach alles eine Herausforderung – außer vielleicht das Musik machen. Es gibt wenig zu Essen, Transport ist eine Katastrophe und viele Dinge brauchen wahnsinnig viel Zeit. Mit meinen Musikern ist das anders – wir haben einen richtigen „Arbeitsflow“. Aber man stößt immer wieder auf Hindernisse, sei es, dass der Storm ausfällt oder ein Dach nicht regendicht ist und man nachts schnell alle Instrumente in Sicherheit bringen muss…. Es gibt leider viele Probleme auf Kuba und es wurde in den letzten Jahren an vielen Stellen schlimmer. Wenn ich heute das Kuba-Projekt anfangen würde, würde es nicht mehr klappen. Das Land ist in einem traurigen Zustand und viele wandern aus. Ich bin sehr dankbar, dass wir mein Projekt in einer Zeit begonnen haben, in der es noch gut ging. Und trotz Pandemiezeit haben wir weiter an unserem zweiten Album „Cuban Dances“ gearbeitet. Das hat uns Hoffnung und nicht zuletzt auch Geld gebracht, das die Musiker dort gut gebrauchen können. Denn die Finanzierung bleibt letztendlich die größte Herausforderung. Aber: „When theres a will, theres a way“ („Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“). Wir glauben alle an das Projekt und allen Widrigkeiten zum Trotz geben wir nicht auf! Es ist wirklich ein Herzensprojekt!

Den Ausgangspunkt bzw. das Bindeglied für die ersten Projekte auf Kuba war die Musik von Wolfgang Amadeus Mozart. Seine Musik hat mit dem freudigen kubanischen Lebensgefühl einiges gemein. Könnten Sie sich aber auch noch andere Komponisten vorstellen, deren Werke man „kubanisieren“ und mit temperamentvoller Tanzrhythmik bearbeiten könnte?
Ja, auf jeden Fall! Das kann man im Prinzip mit allen klassischen Komponisten machen. Mir war es aber ganz wichtig, dass es nicht kitschig oder billig klingt. Einfach nur einen kubanischen Rhythmus unter die Musik zu legen, wäre nicht das richtige gewesen. Mein Ziel war es, eine Hommage an Mozart zu schaffen. Und ich hatte das Glück, hierfür unglaublich gute kubanische Arrangeure finden zu können. Man könnte aber auch Strauss mit Salsa, oder Bach oder Bruckner mit Bolero kombinieren, oder Maler mit Mambo versuchen… Wenn man zwei unglaublich tolle Musikstile hat, dann kann man alles mischen, finde ich. Aber mit seinen Tanzrhythmen und seinem Gefühl für Improvisation passt Mozart einfach wunderbar! Zum Glück für mich hat er vier Hornkonzerte geschrieben, die es mir ermöglichen, viel auszuprobieren und aufzunehmen.

© Monika Rittershaus

Die kubanische (Tanz)Musik und die europäische (Kunst)Musik unterscheiden sich in vielen Punkten voneinander: Während Kubas Musik beispielsweise locker-fröhlich und improvisiert wirkend daherkommt, wirkt die europäische Musik dagegen oft „strenger“ oder ernster und ist in der Regel feinsäuberlich in Noten aufgeschrieben. Auch das Horn würden die meisten eher in Europa und weniger in der Karibik verorten. Wie schafft man da den Brückenschlag zwischen diesen beiden Welten und was sind die Herausforderungen beim Spielen?
Die Herausforderungen als Hornistin waren sehr hoch! Ich wusste, dass ich Mozart spielen kann, aber von den vielen verschiedenen Elementen der kubanischen Musik hatte ich keine Ahnung. Ich wusste nur, dass es mir gefällt. Aber in der Zwischenzeit habe ich gelernt: Wenn man es nicht tanzen kann, kann man es auch nicht spielen. Kubanische Musik ist so fest in der DNA der Kubaner verankert, dass sie nicht überlegen müssen, welcher Rhythmus wie klingen muss, wann welche Betonung auf welchem Schwerpunkt kommt und wodurch sich die vielen verschiedenen Tänze unterscheiden. Die Kubaner haben das einfach im Blut. Ich musste das aber alles lernen. Einerseits musste ich die verschiedenen Tänze und Merkmale verstehen, aber auch lernen wie man zu der Musik tanzt. Denn wenn man diese Musik nicht im Körper spürt, hat man Schwierigkeiten sie richtig zu spielen. Außerdem ist das Horn nicht so wirklich für populäre Musik geeignet. Posaune oder Trompete können zu Beispiel einfach über eine Salsa-Band hinwegspielen. Der Schall des Horns „verschwindet“ durch seine andere Bauweise aber nach hinten. Ich muss etwas anders oder „eckiger“ spielen, mehr artikulieren und auf der Bühne anders stehen. Im Konzert wird man es sehen, denn ich stehe seitlich, damit der Schalltrichter zum Publikum zeigt. Sonst würde man mich gar nicht hören. Außerdem ist das Improvisieren ein wesentlicher Teil der kubanischen Musik. Ich bewundere die Kubaner, die das auf ganz natürliche Weise in die Musik miteinfließen lassen können. Ich kann das inzwischen ganz gut beim Singen, aber sobald ich mein Horn in der Hand habe, fühle ich mich wie ein steifer, klassischer Musiker. Aber ich gebe nicht auf und jedes Mal, wenn ich mit dem Havana Lyceum Orchestra spiele, wird’s ein bisschen einfacher und irgendwann werde ich einfach los improvisieren (lacht).

Zum Schluss: Worauf darf sich das Publikum des Rheingau Musik Festivals bei Ihren Konzerten besonders freuen? Und worauf freuen Sie sich ganz besonders?
Ich freue mich, dass ich in meinen Konzerten viel moderieren und erzählen darf und dass ich eine solche Vielfalt in den Rheingau mitbringen kann! Ich habe wirklich sehr gute und wunderbare Musiker an meiner Seite. Mit meinen Kollegen der Berliner Philharmonikern darf ich in verschiedenen Konstellationen auftreten und wir haben wirklich unterhaltsame und schöne Programme dabei. Wir sind ein super Team, lachen viel zusammen und verstehen uns sehr gut. Das Horn hat das Glück, dass es ein Bindeglied zwischen Holzbläsern und Blechbläsern ist. Im Holzbläserquintett hört man z.B.  wie vielseitig das Horn sein kann. Teils muss es fast wie eine Klarinette oder Flöte klingen und muss schlank und elegant spielen. Das wird auf jeden Fall sehr viel Spaß machen! Und natürlich freue ich mich ganz besonders, dass meine kubanischen Musiker kommen können und wir wieder kubanische Lebensfreude in den Rheingau bringen dürfen! Außerdem steht die europäische Erstaufführung des Hornkonzerts „Cuban Dances“ auf dem Programm! Das sollte man sich nicht entgehen lassen!

Sarah Willis beim Rheingau Musik Festival 2023

K 7 | 28.6. | Mi. 19 Uhr
Schloss Johannisberg, Fürst-von-Metternich-Saal

Bläser der Berliner Philharmoniker

Andreas Blau, Flöte · Jonathan Kelly, Oboe · Alexander Bader, Klarinette · Stefan Schweigert, Fagott · Sarah Willis, Horn

Werke von Wolfgang Amadeus Mozart, Eugène Bozza, August Klughardt, Leonard Bernstein, Gerardo Matos Rodríguez, Arie Malando u. a.

K 13 | 30.6. | Fr. 20 Uhr
Kloster Eberbach, Kreuzgang

Hornquartett der Berliner Philharmoniker

Stefan Dohr, Horn · Andrej Žust, Horn · Johannes Lamotke, Horn · Sarah Willis, Horn

Around the World: Werke von Gioachino Rossini, Edvard Grieg, Anselmo Aieta, Gaetano Donizetti, Ludwig van Beethoven, Wolfgang Amadeus Mozart u. a.

K 92 | 2.8. | Mi. 20 Uhr
Kurhaus Wiesbaden, Friedrich-von-Thiersch-Saal

Sarah Willis, Horn &Moderation
Havana Lyceum Orchestra
José Antonio Méndez Padrón, Leitung

Richard Egües „El Bodeguero“
Wolfgang Amadeus Mozart Serenade Nr. 6 D-Dur „Serenata notturna“ KV 239 · Konzertsatz für Horn und Orchester Es-Dur KV 370b
Jorge Amado „Danza de los Fugitivos“
Chucho Valdés „Mambo Influenciado“
Joseíto Fernández „Guantanamera“
sowie „Cuban Dances“ für Horn solo, Streicher und Perkussion

K 96 | 3.8. | Do. 20 Uhr
Kloster Eberbach, Kreuzgang

Kubanische Nacht

Havana Lyceum Orchestra
Sarah Willis, Horn & Moderation

Ein buntes kubanisches Potpourri: von Streichquartett
bis Perkussion-Ensemble, von Son bis Mambo, Rumba und Cha-Cha-Cha

K 100 | 4.8. | Fr. 19 Uhr
Schloss Johannisberg, Fürst-von-Metternich-Saal

Sarah Willis & The Havana Horns

Ernesto Herrera, Horn · Susana Venereo, Horn · Karla Hernández, Horn · Debbie Vélez, Horn · Percussionists Des Havana Lyceum Orchestra &
Friends · Sarah Willis, Horn & Moderation

Traditionelle und beliebte kubanische und lateinamerikanische Werke

K 164 | 17.12. | So. 17 Uhr
Kurhaus Wiesbaden, Friedrich-von-Thiersch-Saal

O TannenBRASS!

Blechbläser der Berliner Philharmoniker
Sarah Willis, Moderation

Von Bach bis O TannenBRASS!

Foto © Dorn Music

 

In diesem „Sommer voller Musik“ widmen wir dem polnisch-kanadischen Ausnahmepianisten Jan Lisiecki als Fokus-Künstler einen Schwerpunkt. In gleich fünf Konzerten wird er mit unterschiedlichen Programmen im Rheingau zu erleben sein und Einblicke in sein facettenreiches Spiel geben. Wir habe ihn vorab zu einem Interview getroffen.

© Christoph Köstlin/DG

Lieber Herr Lisiecki, wir freuen uns, Sie beim Rheingau Musik Festival als einer unserer Fokus-Künstler besonders oft erleben und hören zu dürfen. Was hoffen Sie dem Publikum in den verschiedenen Konzerten mitgeben zu können?

Ich freue mich sehr darauf, dem Publikum des Rheingau Musik Festivals, das ich sehr schätze, ganz unterschiedliche Programme zu präsentieren. Diesmal spiele ich auch die beiden Klavierkonzerte von Chopin, die ich sehr liebe. Ich glaube, dass sie mit dem Norwegian Chamber Orchestra, das mit so viel Hingabe und Leidenschaft bei der Sache ist, bemerkenswert klingen werden. Die Musikerinnen und Musiker kennen die Partitur in- und auswendig und wissen, wie man zeigen kann, was diese Konzerte zu bieten haben. Gemeinsam werden wir die Musik für das Publikum zum Leben erwecken.
Die Aufführung aller fünf Beethoven-Konzerte ist ein gewaltiges Unterfangen und ein einzigartiges Erlebnis für das Publikum. Man kann wählen, ob man nur einige seiner Lieblingswerke hören will, oder den gesamten Zyklus. Den kompletten Zyklus zu erleben ist aber deswegen einzigartig, weil man ein alleinstehendes Konzert nie auf dieselbe Weise hört. Ich liebe es, diese Erfahrungen auch selbst zu machen, weil man ganz anders versteht, was jedes Stück innerhalb des Gesamtwerkes des Komponisten bedeutet. Man kann es für sich selbst dann besser einordnen. Gemeinsam mit den Musikern des Chamber Orchestra of Europe wird das eine unglaubliche Erfahrung werden.
Mein Solo-Rezital ist ein interessanter Kontrast zwischen Frédéric Chopins Etüden und Nocturnes. Es ist eine Reise durch die Nocturnes, aber eine, die einen Bogen schlägt, und ich denke, die zwei Stunden Musik sind fesselnd. Es ist für das Publikum sehr einnehmend, und das ist für mich persönlich das Wichtigste, wenn ich bei einem Soloabend allein auf der Bühne bin.
Ich freue mich auch sehr auf die Zusammenarbeit mit Julia Fischer, die ja wie ich auch Fokus-Künstlerin in diesem Jahr ist, und darauf, gemeinsam in einer wunderschönen Umgebung etwas für das Publikum zu erschaffen. Auch freue ich mich darauf, das Publikum mal auf eine andere Art und Weise anzusprechen, und zwar mit zwei Solisten, von denen jeder seine eigene Sichtweise einbringt, die aber im Sinne des Zusammenhalts an einem Abend ihre beiden Perspektiven und vielleicht auch unterschiedliche Spielstile vereinen. Wir werden sehen! Ich bin sehr gespannt!

Wie Sie erwähnten, werden Sie beim Rheingau Musik Festival unter anderem alle fünf Klavierkonzerte von Ludwig van Beethoven mit dem Chamber Orchestra of Europe und beide Klavierkonzerte von Frédéric Chopin mit dem Norwegian Chamber Orchestra spielen und dabei die Orchester vom Klavier aus auch leiten. Worin liegt der Unterschied, wenn man keinen Dirigenten dabei hat, sondern als Pianist auch die Leitung übernimmt?

Idealerweise fühlt man die Musik als eine Einheit, wenn man gemeinsam musiziert. Man empfindet die gleichen Emotionen, man hat das gleiche Ziel oder man spielt sich gegenseitig zu, aber letztlich steht man immer in einer symbiotischen Beziehung. Mit Orchestern wie dem Chamber Orchestra of Europe oder dem Norwegian Chamber Orchestra lässt sich dies leicht erreichen, da beide Orchester unglaublich aufmerksam aufeinander und auf den Solisten hören. Das erzeugt ein ganz anderes Ergebnis, als wenn jemand von oben den Vorsitz führt. Manchmal braucht man das natürlich, aber nicht in diesem Fall, wenn die Musik dem Orchester so gut bekannt ist, wie die Beethoven-Konzerte dem Chamber Orchestra of Europe.
Die Chopin-Konzerte kenne ich wiederum sehr gut. Es sind Stücke, die mich seit Jahren mit Herz und Seele begleiten. Ich habe so viel von großen Musikern, Dirigenten, Orchestern auf der ganzen Welt und auch von mir selbst darüber gelernt wie man sie am besten interpretiert, sodass ich inzwischen eine sehr spezifische Vorstellung habe. Ich erwarte, dass dieses Orchester – das so wunderbar ohne einen Dirigenten zu spielen vermag – mich auf dieser Reise begleitet, ohne dass ich sie tatsächlich physisch führen muss – ohne dass ich mit Worten oder auch musikalisch ein Zeichen geben muss. Zuhören ist der Schlüssel in jeder musikalischen Beziehung, und es wird umso wichtiger, wenn man jemandem nicht permanent mit den Augen folgen kann. In einem intimen Rahmen und mit einer kleineren Gruppe, die so gut zuhören kann wie das Chamber Orchestra of Europe oder das Norwegian Chamber, können wir dieses Ideal erreichen.

© Christoph Köstlin/DG

Es steht außerdem eine Premiere an in diesem „Sommer voller Musik“: Sie werden das erste Mal gemeinsam mit Julia Fischer, die in diesem Jahr ebenfalls Fokus-Künstlerin des Festivals ist, mit einem Kammermusik-Programm auf der Bühne stehen. Ist die Vorbereitung eine andere, wenn Sie noch nicht mit dieser Duopartnerin zusammengespielt haben? Wie wird das Programm für einen solchen Abend zusammengestellt?

 Meine Herangehensweise an die Arbeit mit anderen Solisten unterscheidet sich wenig von der Arbeit mit einem Orchester, wie ich sie oben beschrieben habe. Wir müssen uns auf eine gemeinsame Basis einigen, die sich – hoffentlich – auf sehr natürliche Weise ergibt, indem wir während der Proben auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Der eine lässt sich vom anderen inspirieren und wir präsentieren etwas Anderes, Frisches, wobei jeder von uns seine eigene Perspektive auf ein bestimmtes Werk oder eine Gruppe von Werken einbringt. Was die Programmauswahl angeht, habe ich Julia Fischer ganz die Führung überlassen, da ich als Pianist ja nicht der Spezialist für Violinrepertoire bin. Wir haben Werke verschiedener Epochen und Komponisten erwogen und uns gemeinsam für das Programm entschieden, das sich am besten in dem uns zur Verfügung stehenden Zeitrahmen vorbereiten lässt. Für etwas, dass sich für ein erstes Aufeinandertreffen eignet, um eine gemeinsame Sprache und Basis zu finden und diese auch dem Publikum präsentieren zu können.

 Nach welchen Kriterien erstellen Sie die Programme für Ihre Solo-Rezitale? Geht es Ihnen um Kontraste oder mehr um Gemeinsamkeiten der Werke?

 Die Zusammenstellung eines Konzertprogramms ist eine Kunst für sich, die mir sehr am Herzen liegt. Ich mache mir viele Gedanken darüber und bin im Allgemeinen mit den bisherigen Ergebnissen durchaus zufrieden. Abgesehen davon, dass ich natürlich Werke präsentiere, die mir nahestehen, die ich gerne zeigen möchte, die ich aufgenommen habe – all diese Faktoren werden ebenfalls berücksichtigt –, möchte ich das Publikum auf eine Reise mitnehmen. Das ist unglaublich wichtig, wenn man allein auf der Bühne ist. Man muss dem Spannungsbogen der Geschichte, die man erzählt, glauben können. Es ist wie ein Theaterstück mit verschiedenen Akten, die zusammen funktionieren müssen. Es können keine verschiedenen, isolierten Geschichten sein, sondern es muss eine einzige sein, die im Laufe des Abends erzählt wird. Deshalb habe ich mir oft Programme ausgedacht, die man im Nachhinein als thematisch bezeichnen kann, die aber in Wirklichkeit oft aus sehr gegensätzlichen Werken zusammengesetzt sind: Schumanns „Nachtstücke“, Chopins Nocturnes, Ravels „Gaspard de la Nuit und Mendelssohns „Lieder ohne Worte“ – alles sehr unterschiedliche Werke, aber man kann hier einen roten Faden finden und sie eine ähnliche oder auch unterschiedliche Geschichte erzählen lassen. Eine Geschichte, die etwas zu bieten hat. Mir ist es wichtig, Werke zu präsentieren, die dem Publikum gut bekannt sind. Ich möchte den Hörerinnen und Hörern etwas geben, das sie erkennen, schätzen und genießen können und dazu etwas, das völlig unerwartet ist – etwas, das sie vielleicht noch nicht gehört haben, oder zumindest nicht in diesem Zusammenhang. Ein Werk, das vielleicht nicht das bekannteste ist, aber viel zu bieten hat. Eben nicht nur die Top-Hits der klassischen Musik, sondern auch besondere Werke, die dann sinnvoll in den Kontext eines Soloprogrammes eingebunden sind.
Für mich ist mein Solo-Programm im Rheingau dieses Jahr eine faszinierende Mischung aus Chopins Etüden und Nocturnes. Mein Ziel war dabei, Chopins Nocturnes bestmöglich zu präsentieren. Natürlich könnte ich einfach ein paar der beliebtesten Nocturnes spielen, op. 9 Nr. 2, op. 48 oder op. posth. in cis-moll zum Beispiel. Dann würde ich aber nur einzelne Teile aus diesem großartigen Gesamtwerk herausklauben. Wie kann ich also das Großartige darin präsentieren, ohne das Publikum zu langweilen oder gar einzuschläfern? Chopins Nocturnes sind natürlich alle im Geiste verwandt, sehr ruhig, friedlich, eben Musik der Nacht. Was läge da näher, als sie mit etwas völlig anderem zu kontrastieren? Etwas, das ihnen trotzdem hinsichtlich Tonalität und Fantasie ähnelt? Die Etüden sind natürlich sehr technisch und bekanntlich eine Herausforderung, aber es ist immer noch Chopins Musik. Ich bin der starken Überzeugung, dass es bei Chopin immer um die Musikalität an sich ging. Gleichzeitig bieten die Etüden in diesem Kontext einen unglaublichen Kontrast, der das Endergebnis für uns alle spannend macht.

Sie reisen viel und auch gerne, aber als Pianist können Sie Ihr Instrument nur sehr schwer mitnehmen und sind in der Regel auf die Flügel angewiesen, die sie vorfinden. Was sind dabei die großen Herausforderungen? Wie stellt man sich immer wieder auf neue Instrumente ein?

 Die Begegnung mit einem anderen Instrument in jedem Konzertsaal ist eine der vielen Herausforderungen, denen wir uns als Musiker, in diesem speziellen Fall als Pianisten, stellen müssen. Aber wenn man dabei erfolgreich sein will, muss man die Herausforderung auf den Kopf stellen und sie zu etwas machen, das einem Spaß macht. Jeder Saal hat ohnehin einen anderen Klang, seinen eigenen Geist, sozusagen; der Flügel ist nur ein weiteres Element. Selbst wenn ich mein eigenes Instrument hätte, wüsste ich immer noch nicht, wie der Saal klingt.
Natürlich bin ich manchmal nicht in der Lage, die klanglichen Dinge zu tun, die ich mir erträumt oder vorgestellt habe. Auch ist nicht jeder Flügel nach meinem Geschmack vorbereitet – ich will gar nicht sagen, dass er nicht gut vorbereitet wäre, manchmal passt er nur nicht in meine Klangvorstellung. Aber wenn ich mich darauf einlasse, habe ich nicht das Gefühl, dass ich Kompromisse eingehe. Ich habe eher das Gefühl, dass ich mich mit dem Instrument anfreunde und die Vorzüge nutze, die es zu bieten hat. Und das wirft wiederum ein anderes Licht auf die Musik.
Ich spreche hier von Konzerten, bei einer Aufnahme ist das natürlich eine ganz andere Sache. Dann möchte ich einen Flügel haben, der absolut meiner Vorstellung entspricht, eine Art utopisches Instrument, mit einer Farbvielfalt, die mich meine Vision bis ins Letzte gestalten lässt. Aber in einem Konzertsaal, an dem Abend, an dem ich für das Publikum vor Ort spiele, bin ich immer in der Lage, etwas aus dem Flügel herauszuholen. Manchmal ist es eine unglaubliche Herausforderung. Manchmal ist es auch entmutigend, weil man das Gefühl hat, dass nichts funktioniert, aber das muss man als Pianist überwinden. Ich glaube sogar, man schränkt sich selbst ein, wenn man mit seinem eigenen Instrument reist, denn dieses Instrument kann von einem Ort zum anderen so unterschiedlich klingen, dass es nicht unbedingt ein Vorteil ist. Manchmal ist es am besten, denjenigen zu vertrauen, die sich am besten auskennen: Den Stimmern vor Ort, die diesen Flügel in diesem Saal bereits ihr ganzes Berufsleben für verschiedene Pianisten vorbereiten. Sie wissen, was im Saal funktioniert und was nicht. Da kann ich den Stimmern vertrauen. Und selbst wenn es mal Probleme gibt, habe ich trotzdem Mittel, den Konzertbesuchern einen unvergesslichen Abend zu bereiten.
 

Sie haben Ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Ist die Musik auch im Alltag Ihr Ausgleich oder gibt es andere Aktivitäten, die Ihnen Ausgleich verschaffen?

 Das würde ich so gar nicht sagen. Ich denke, es gibt noch viele andere Seiten meines Wesens und meiner Persönlichkeit, die gar nichts damit zu tun haben, dass ich auf der Bühne stehe. Ich liebe das, was ich tue, wenn ich auf der Bühne bin, und ich liebe es, Musik mit anderen zu teilen, aber es definiert mich sicherlich nicht nur als Mensch.

© Ansgar Klostermann
© Christoph Köstlin

In einem Interview haben Sie mal gesagt, Bach sei Ihr Lieblingskomponist? Ist das immer noch so? Wie kommt es dazu und was bedeutet Ihnen seine Musik?

 Es fällt mir immer sehr schwer, Favoriten zu benennen. Eine einzelne Stadt, Farbe, Person, ein Reiseziel … Das gilt natürlich auch für Komponisten. Ich denke, Bach ist die Quintessenz dessen, was ich auch in den Werken anderer Komponisten zeigen möchte, nämlich die Tatsache, dass Einfachheit  – im Sinne von Klarheit – über allem anderen steht. Es geht nicht unbedingt um tiefe Emotionen oder komplizierte virtuose Passagen, sondern um diese Art von Menschlichkeit in der Musik, die Bach in absolutem Übermaß vorweist. Ich versuche, das auch auf die Werke anderer Komponisten anzuwenden, obwohl die Stile natürlich sehr unterschiedlich sind.
Ehrlich gesagt habe ich vermutlich damals nicht gesagt, dass Bach mein Lieblingskomponist ist, aber sicherlich ist er die Grundlage der klassischen Klaviermusik wie wir sie heute kennen. Er hat die Grenzen des Möglichen definiert und andere Komponisten haben dies mit der Zeit und mit ihrem eigenen Genie in sehr unterschiedliche Richtungen weiterentwickelt.

Dieses Jahr steht der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy im Fokus. Sie haben bereits Werke von ihm auf CD eingespielt. Welche Bedeutung hat Mendelssohn für Sie?

Mendelsohns Musik ist unglaublich. Er hatte die Fähigkeit, gleichzeitig ätherische Leichtigkeit und ein Gefühl von … ich würde sagen Sinn, von Zielstrebigkeit zu vermitteln. Es ist sehr schwer, Musik in Worten zu beschreiben, aber Mendelssohn wurde und wird immer noch oft als unbeschwert, fröhlich, heiter abgetan – natürlich ist seine Musik das auch, aber warum muss das etwas Negatives sein? Ich habe seine beiden Konzerte und einige seiner Solowerke aufgenommen und sie bieten daneben auch so viel Dunkelheit, so viel Temperament, eine wunderbare, ihm ganz eigene Melodieführung. Er hatte seinen eigenen Stil, und er hatte auch eine einzigartige Weise, begleitende Instrumente einzusetzen, sekundär aber nie zu weit im Hintergrund. Das ist besonders in seinen Konzerten bemerkbar, in denen das Klavier mit wunderbaren Passagen natürlich das Soloinstrument ist. Passagen, von denen manche sagen würden, dass sie keinem Zweck dienen, aber sie dienen eben dem, was die Quintessenz des Konzertes ausmacht, und das ist eine unglaubliche Leistung. Jeder Komponist, von dem man sagen kann, dass er seine eigene Sprache geschaffen hat, sollte meiner Meinung nach für sein Genie gefeiert werden.

 Wie entscheiden Sie sich, welchen Komponisten und Werken sie sich als nächstes annehmen? Schwerpunkte bis jetzt waren ja Chopin, Beethoven, Mendelssohn und Schumann. Was darf man vielleicht als nächstes erwarten?

Ich versuche immer, meinen Horizont auf sehr ungezwungene und natürliche aber auch uneingeschränkte Weise zu erweitern. Ich gehe in unterschiedliche Richtungen und bleibe dann manchmal länger dort, lerne nicht nur ein Stück, sondern auch andere und wachse mit ihnen, indem ich sie zur Aufführung bringe. Es ist so ähnlich wie beim Reisen. Man denkt vielleicht, man hätte alle Länder der Welt gesehen, aber man hat sie nie wirklich ganz gesehen. Das kann man gar nicht, weil sich die Welt ständig verändert. Und ich denke, das ist bei den Komponisten des Klavierrepertoires ganz ähnlich. Erstens ändert sich die eigene Perspektive ständig und zweitens sind wir mit einem so breiten Schatz an Werken gesegnet, dass ich glaube, dass man im Laufe eines ganzen Lebens nicht einmal das gesamte Repertoire von Chopin lernen könnte. Jedenfalls nicht auf die Art, wie ich es mir vorstelle: Eine so intim vertraute, dass man es sozusagen im Schlaf spielen und im Schlaf verstehen kann. So einen Zustand erreicht man nur ein paar Mal mit ein paar ausgewählten Stücken, aber das ist natürlich der Maßstab.
Das nächste große Projekt ist Prokofjew: Seine Konzerte sind eine ganz neue Sprache für mich, die ich im Moment lebe und ich habe vor, sie noch einige Zeit zu leben.

 

Kompositionen sind oft eng mit dem biographischen Hintergrund des Komponisten verbunden. Was für eine Rolle spielen für Sie bei der Interpretation die Entstehungsgeschichte und die biographischen und kompositorischen Hintergründe? Wie informieren Sie sich hierzu?

 Ich bin mir nicht sicher, ob ich der Aussage so zustimme. Das wäre so, als würde man sagen, Monets Kunst sei eng mit seiner Biografie verbunden, und das finde ich überhaupt nicht; Monets Kunst spricht einen entweder an oder nicht. Es spielt keine Rolle, wie er sein Leben gelebt hat, wo er geboren wurde und dass er gemeinsam mit anderen Künstlern Teil der impressionistischen Bewegung war. Man braucht den biografischen Kontext nicht. Darum geht es in der Kunst überhaupt nicht, und meiner Meinung nach wird auch viel zu häufig dem Bedürfnis verfallen, die Dinge einordnen zu wollen: Jemand ist zum Beispiel jung, oder deutsch, oder Kanadier oder Pole… Und daraus folgt immer der Versuch, etwas zu erklären. Aber manche Dinge kann man nicht erklären. Es ist nicht wichtig, wo Mozart geboren wurde und was er für ein Leben führte. Natürlich ist das interessant zu wissen, wenn man sich für seine Musik begeistert, das will ich gar nicht bestreiten. Natürlich gibt es auch einige Verbindungen zur Biographie im Werk, einige Schlüsselmomente im Leben, die die Art und Weise, wie jemand geschrieben hat, verändert haben. Aber all diese Kenntnis ist meiner Meinung nach absolut nicht erforderlich, um die Musik als Zuhörer zu verstehen. Nicht einmal, um als Interpret zu wissen, was man tun muss. Man muss sie mit der Seele verstehen! Selbstverständlich anhand der eigenen klassischen Ausbildung und vor dem Hintergrund dessen, was man überhaupt erst einmal braucht, um sie auf einer Bühne aufführen zu dürfen – aber letzten Endes und im Konzertsaal vor 2000 Leuten wird dich das Wissen um die Biographie nicht retten.

Der Leitgedanke des Rheingau Musik Festivals 2022 lautet „Zusammenhalt“. Das denken wir im Festivalsommer 2022 auch auf musikalischer Ebene weiter: Zusammenhalt als die Verbindung, die Musik schaffen kann, der Zusammenhalt zwischen Mitgliedern eines Ensembles, der Zusammenhalt zwischen den Interpretierenden und dem Publikum. Welche Bedeutung hat „Zusammenhalt“ für Sie musikalisch und künstlerisch?

 Wenn ich an Zusammenhang denke, denke ich an eine Einheit. Im musikalischen Kontext drängt sich mir sofort der Gedanke auf, wie sich das auf das Publikum und die Musiker auf der Bühne auswirkt. Ich bin der Meinung, dass zwischen dem Interpreten und dem Publikum keine Barriere existiert. In der Musik sind wir alle zusammen – auch wenn sie nicht für jeden das Gleiche bedeutet. Wir erleben sie als Einheit und doch jeder auf individuelle Weise.
Ich glaube, ich bin schon etwas darauf eingegangen, als ich über die Arbeit mit den Orchestern und Julia Fischer gesprochen habe. Wir reden von Zusammenhalt im Sinne vom gemeinsamen Spielen, gemeinsamem Erschaffen von etwas. Zusammen ist ja das Schlüsselwort für alles.
Um es noch direkter zu sagen: Wenn ich auf der Bühne stehe, will ich nicht beeindrucken, denn wenn man das Publikum mit Virtuosität, Können, Wissen, Kleidung (und das meine ich ganz geschlechtsneutral) oder anderen Dingen beeindruckt, ist man eben nicht zusammen in der Musik, weil man ein Spektakel kreiert. Das ist das Gegenteil von Einheit und Zusammenhalt. Also können wir nur zum Ausgang zurückkehren: zur Einfachheit, Klarheit und Eleganz, in der wir die Musik feiern. Dann sind wir eine Einheit und beweisen auch wahren Zusammenhalt.

© Stefano Galuzzi
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Jan Lisiecki beim Rheingau Musik Festival 2022

20.7. | Mi. 19 Uhr | K 51

Schloss Johannisberg
Fürst von Metternich Konzert-Kubus

Julia Fischer Violine
Jan Lisiecki Klavier

Ludwig van Beethoven: Violinsonate Nr. 3 Es-Dur op. 12,3
Franz Schubert: Violinsonatine Nr. 2 a-Moll D 385a
Robert Schumann: Violinsonate Nr. 2 d-Moll op. 121

28.7. | Do. 20 Uhr | K 69

Kurhaus Wiesbaden
Friedrich-von-Thiersch-Saal

Jan Lisiecki Klavier & Leitung
Chamber Orchestra of Europe

Ludwig van Beethoven:
Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 19
Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur op. 15
Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll op. 37

29.7. | Fr. 20 Uhr | K 73

Kurhaus Wiesbaden
Friedrich-von-Thiersch-Saal

Jan Lisiecki Klavier & Leitung
Chamber Orchestra of Europe

Ludwig van Beethoven:
Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58
Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op. 73

17.8. | Mi. 19 Uhr| K 107

Schloss Johannisberg
Fürst von Metternich Konzert-Kubus

Jan Lisiecki Klavier

Nocturnes und Etüden von Frédéric Chopin

30.8. | Di. 20 Uhr | K 126

Kurhaus Wiesbaden
Friedrich-von-Thiersch-Saal

Jan Lisiecki Klavier & Leitung
Norwegian Chamber Orchestra

Frédéric Chopin:
Klavierkonzert Nr. 1 e-Moll op. 11
Klavierkonzert Nr. 2 f-Moll op. 21

Foto: Bomsori Kim © Kyutai Shin

Bomsori Kim gewährt uns einen exklusiven Blick hinter ihre geheimnisvolle Fassade und spricht mit uns über Fokus und Leidenschaft und überrascht uns mit ihrer Antwort auf die Frage nach einem sportlichen Ausgleich zum Geigenspiel.

Vier Fragen an Bomsori Kim

Auf der Bühne wirken Sie immer sehr leidenschaftlich und gleichzeitig absolut fokussiert. Wie machen Sie das?
Ich denke, Leidenschaft und Fokus können nicht ohne einander existieren. Nur, wenn du dich absolut auf etwas fokussierst, kannst du dafür eine Leidenschaft entwickeln. Wenn ich auf der Bühne stehe, ist mir alles andere egal. Ich bin dann absolut konzentriert auf die Musik, die ich in diesem Moment spiele. Alles andere um mich herum verschwindet und wird unwichtig und unwirklich.

Was denken Sie in dem Moment, bevor Sie die Bühne betreten?
Das ist die größte Frage für alle Musiker. Wenn es ein Geheimrezept für den Moment vor dem Auftritt gibt, dann möchte ich es unbedingt wissen! Für mich ist es jedes Mal anders. Mein Körper kann sich jedes Mal anders anfühlen, genauso wie mein mentaler Zustand, meine Kondition. Wir können niemals vorher wissen, was auf der Bühne passieren wird. Das ist so unvorhersehbar und kontrollieren kann ich es sowieso nicht. Auf der Bühne versuche ich mich zu fokussieren, höre den Kollegen genau zu. Das ist, was ich tue: Ich konzentriere mich auf den Klang des Klaviers oder des Orchesters. Die Kollegen musizieren großartig und inspirieren mich. Was sie geben, ist immer ein bisschen anders und ich bin immer wieder erstaunt, was für wunderbare Dinge dann auf der Bühne geschehen. Es ist niemals gleich. Fokus ist der Schlüssel zu diesen besonderen Momenten.

Das Leben auf Tour und das Geigespielen an sich sind mental und physisch sehr anstrengend. Was machen Sie als Ausgleich?
Ich bin ein großer Fan von Kampfsport. Diese Art von Sport begeistert mich schon seit ich ein Kind war. Mein Vater hat mich früher immer zu seinem Training mitgenommen. Schon damals liebte ich die Meditationen und die speziellen Atemtechniken, die mich sehr beruhigen. Nicht nur körperlich, sondern auch mental. Ich bin der Überzeugung, dass dieses Atmen für meine mentale Ruhe und innere Stärke sehr wichtig ist. Außerdem mache ich Yoga – ich möchte sehr flexibel sein, das gibt mir größere Freiheiten beim Geigespielen.

Praktizieren Sie auch den kämpferischen Part des Kampfsports?
Oh ja, natürlich! Das ist das, was am meisten Spaß macht! Ich mache allerdings nicht die richtig harten Sachen, das brauche ich nicht und ich möchte keine Verletzungen riskieren. Ich mache Thai Chi, eine eher defensive Kampfkunst, die meinen Körper fordert aber ihm nicht wehtut.

Bomsori Kim © Kyutai Shin
Bomsori Kim © Kyutai Shin

Stimmen Sie sich ein auf Ihren Sommer voller Musik mit Bomsori Kim

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Unsere Fokus-Künstlerin Bomsori Kim spricht über Mozart und sein Violinkonzert Nr. 1 B-Dur KV 207.

Bomsori Kim haben wir zum ersten Mal 2019 im Rheingau willkommen geheißen. Ihr Debüt war einer jener Abende, die man so schnell nicht vergisst. Mozarts Violinsonaten standen auf dem Programm und Bomsoris Spiel hat das Publikum von den Stühlen gerissen. Und nicht nur das Publikum, auch wir waren begeistert und haben sie gleich ein zweites Mal eingeladen. In unserem Konzertstream „All about Mozart“ erleben Sie Bomsori Kim im Gespräch mit der Hornistin Sarah Willis und als Solistin mit Wolfgang Amadeus Mozarts Violinkonzert Nr. 1 B-Dur KV 207.

Stimmen Sie sich schon jetzt auf die Konzerte unserer Fokus-Künstlerin ein und wecken Sie Ihre Vorfreude auf den Sommer.

Direkt zum Konzertstream

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