Sie haben schon früh mit dem Klavierspielen begonnen. Wie kamen Sie zur Musik? Sind Sie in einem musikalischen Haushalt groß geworden?
Im Prinzip habe ich mit acht Jahren mit dem Klavierspielen begonnen, was ich eigentlich nicht als sehr frühes Alter bezeichnen würde. Anfangs habe ich sogar nur auf einem elektrischen Keyboard, zwei Jahre später auf einem elektrischen Klavier und dann schließlich auf Klavier und Flügel gespielt, weil mein Vater nie wirklich sicher war, bis zu welchem Punkt ich diese Leidenschaft verfolgen kann. Er wollte nicht zu früh zu viel investieren, und zwar aus zwei Gründen: Erstens, um mich nicht zu sehr unter Druck zu setzen, und um zu sehen, wie weit ich bereit bin zu kommen. Der zweite Grund ist, dass er schließlich nicht einfach ein Klavier ,im Haus haben wollte, auf dem niemand mehr spielt, falls ich aufhören würde. Und ja, es gab keine Musiker in meiner Familie, und das ist wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum ich immer neugierig und interessiert war, auch weil ich gar nicht wusste wie die Zukunft oder das Leben eines Musikers aussieht.

Schon in Ihrer Kindheit nahmen Sie an den ersten Wettbewerben teil. Wann haben Sie sich dafür entschieden, Pianist zu werden?
Ich denke, es gab viele, viele Momente in meinem Leben, in denen ich darüber nachgedacht habe, wahrscheinlich das erste Mal als ich mit 14 Jahren an einem ernsthaften Juniorwettbewerb teilnahm. Ich erinnere mich, dass wir im Finale mit dem Cleveland Orchestra spielten, das die Klangqualität der CDs hatte, die ich die ganze Zeit hörte. Das war einer der ersten besonderen Momente, in denen ich mir sagte, dass das, was ich tue, wirklich etwas Tolles ist. Natürlich kamen dann auch die Teenagerjahre mit Höhen und Tiefen und es gab einige Momente, in denen ich weniger an der Musik und weniger am Üben interessiert war. Später habe ich natürlich weiterhin an einigen Wettbewerben teilgenommen, aber es war nicht unbedingt ein Selbstvertrauensschub. Man muss mental sehr stark sein, um an solchen Veranstaltungen teilzunehmen, und es ist nicht immer sehr angenehm. Ich habe aber mit der Zeit eine Einstellung entwickelt, mit der ich Wettbewerbe und das Musiker-Dasein mehr und mehr genießen kann und mittlerweile kann ich von der Musik nicht mehr getrennt sein. Wenn ich Musik höre und spiele, sind es sehr magische Momente, und mir wurde sehr bald klar, dass ich diese Emotionen und Gedanken wirklich teilen möchte.

Sie haben chinesische Wurzeln, sind in Paris geboren und als kleines Kind mit Ihren Eltern nach Kanada gegangen. Wo, würden Sie sagen, ist Ihre Heimat? Können Sie sich schnell an andere Kulturen anpassen?
Ja, das stimmt und ich denke es ist schön, wenn man quasi verschiedene Heimaten hat. Ich passe mich definitiv sehr schnell an und ich würde sagen, dass ich zum Glück das Gefühl habe, dass ich nicht in einer Art von „starrem“ Denken feststecke. Das hat mir wirklich geholfen, weniger stur zu sein, nicht nur in der Musik oder der Kunst, sondern auch in den Beziehungen zu den Menschen oder in der Art und Weise, wie man die Welt sieht. Ich lebe immer noch in Montreal in Kanada, aber ich spiele so viel in Europa. Ich bin in Paris geboren, Französisch war daher natürlich immer eine Art Muttersprache für mich. In Paris habe ich die meisten Freunde, aber seit ich den Wettbewerb in Warschau gewonnen habe, habe ich das Gefühl, dass Warschau so etwas wie meine zweite Heimat geworden ist. Ich habe einfach eine ganz besondere Verbindung zu dieser Stadt und diesem Land. Einer der Hauptgründe ist natürlich Chopin und seine herausgehobene Stellung dort. Ich glaube, Warschau ist einer der wenigen Orte, an denen beispielsweise der Flughafen nach einem bedeutenden Komponisten der klassischen Musik benannt werden kann und das ist etwas sehr Besonderes wie ich finde.

Mit dem Gewinn des Internationalen Chopin-Wettbewerbs 2021 in Warschau sind Sie auf einen Schlag in der Musikwelt bekannt geworden. Wie hat sich das anfangs angefühlt? War es seltsam für Sie, plötzlich so in der Öffentlichkeit zu stehen?
Um ehrlich zu sein, habe ich nie darüber nachgedacht. Für mich wurde es etwas sehr Natürliches, weil nichts wirklich geplant ist. Ich habe mich einfach darauf eingelassen und natürlich auch auf das Chaos, das direkt nach dem Wettbewerb auf mich zukam. Das Interessanteste für mich, das vielleicht auch etwas sehr Schwieriges ist, ist die Menge an neuen Dingen, die man lernen muss. Es ist in gewisser Weise wie in der Musik, weil wir jeden Tag neue Dinge entdecken. Entweder spielt man das gleiche Stück oder man lernt neue Programme oder macht etwas anderes. Es ist sehr wichtig, dass wir diese Neugierde am Entdecken endlos aufrechterhalten. Ich hatte schon immer ein Bedürfnis, das zu teilen, was in meinem Inneren entweder auf einer großen oder kleineren Bühne geschieht.

© Bartek Barczyk

Vor zwei Jahren die intensive Auseinandersetzung mit Chopin, jetzt, auf Ihrem aktuellen Album, mit drei weiteren französischen Komponisten – Rameau, Ravel und Alkan. War das Zufall oder haben Sie eine besondere Beziehung zur französischen Klaviermusik?
Inhaltlich weit, aber nicht zu weit von Chopin entfernt zu sein war ein Hauptgrund für die Auswahl der Komponisten und Stücke. Immerhin hat Chopin die zweite Hälfte seines Lebens in Paris verbracht hat und eine große Verbindung zu Frankreich. Außerdem gibt es eine Menge Ähnlichkeiten wie z. B. die Klangfarben, die Sensibilität und Sinnlichkeit. Gleichzeitig gibt es schöne Kontraste, denn die Stücke überbrücken rund 200 Jahre Musikgeschichte. Ich liebe Kontraste, entweder den Kontrast der Kulturen, den Kontrast der Musik, den Kontrast der Charaktere – auch wenn es alles französisch ist –, aber das Klangspektrum reicht von Barock bis Impressionismus. Ravel z.B.  ist nicht nur Impressionist, sondern er hat auch einen gewissen Jazz-Einfluss oder einen spanischen Einfluss. Diese rhythmische Vielfalt bringt einen sehr einzigartigen Charakter mit sich. Manchmal würde ich seine Musik nicht einmal als französisch bezeichnen. Sie ist so virtuos und ein stellenweise vielleicht ein bisschen wie Liszt, dessen Musik wirklich nicht einfach auszudrücken ist, weil sie technisch so anspruchsvoll ist und gleichzeitig eine große Bandbreite an Emotionen ausdrückt.

Sie interessieren Sich auch sehr für zeitgenössische Kompositionen. Sind Sie der Meinung, dass moderne Musik häufiger Eingang in die Konzertsäle finden sollte und wenn ja, warum?
Wenn wir uns die Geschichte anschauen, dann war es immer so, sonst hätten wir nicht die Vielfalt von heute. Wir wüssten nicht, wer Beethoven ist, wer Chopin ist, wer Rachmaninow ist, wenn es nicht den Mut gegeben hätte, immer wieder Grenzen zu überschreiten und Neuem die Chance zu geben. Ich denke also, dass es absolut so ist.

Sie sind – wie mittlerweile viele andere junge Künstlerinnen und Künstler – sehr präsent in den Sozialen Medien. Denken Sie, dass sich der Klassikbetrieb durch die Digitalisierung und Social Media verändern wird?
Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass ich in den sozialen Medien aktiv bin oder nicht. Ich mag es einfach sehr ehrlich mitzuteilen, was ich gerne tue. Das betrifft natürlich die Sachen auf der Bühne, aber auch die Dinge, die ich für die Leute tue, die mich nicht auf der Bühne sehen können. Ich denke, das ist einfach ein Teil meiner Natur. Aber das Wichtigste ist, dass, man sich immer treu bleibt und die Kernbotschaft immer die gleiche ist.

Sie treten nicht nur mit großem Orchester, sondern auch in kleiner Kammermusikbesetzung und im Solo-Rezital auf. Wie unterscheiden sich diese Arten des Musizierens für Sie? Bevorzugen Sie eine davon?
Sowohl mit großen Orchestern als auch in der Kammermusik kommt es darauf an, dass die Chemie sehr schnell stimmt, denn es geht ja darum, mit anderen Menschen zu spielen. Das bedeutet, dass wir uns so schnell wie möglich kennenlernen müssen. Natürlich haben wir in kleineren Ensembles wie der Kammermusik mehr Zeit uns aufeinander zu konzentrieren. Und natürlich ist es in dieser Form auch einfacher, dieses Zusammengehörigkeitsgefühl zu erreichen, weil wir zusammen abhängen können, wir können zusammen essen und uns leichter unterhalten. Wenn mehr Leute beteiligt sind, ist es kaum möglich mehr Zeit zu haben, aber es ist schwer zu sagen, was ich mehr genieße. Ich denke, die meisten Musiker würden wahrscheinlich eher Kammermusik genießen, aber ich genieße diese majestätischen und leidenschaftlichen Emotionen mit Orchester auch sehr. Wenn man weiß und merkt, dass jeder auf ähnliche Weise denkt, dann hinterlässt das wirklich eine Art unvergessliches Gefühl.

Vor zwei Jahren gaben Sie mit einem Soloabend auf Schloss Johannisberg Ihr Debüt beim Rheingau Musik Festival. Welche Bedeutung hatte dieser Auftritt für Sie und wie hat Ihnen der Rheingau gefallen?
Seitdem bin ich jedes Jahr hier und ich liebe diesen Ort und den Rheingau absolut – nicht nur wegen des Rieslings, sondern einer der Hauptgründe ist natürlich, dass man hier im Grunde genommen Urlaub macht.  Nur hier findet sich die perfekte Atmosphäre, die ein Festival oder ein Musikveranstalter den Künstlern vermitteln kann. Ich fühle mich hier wie zu Hause, umgeben von wunderbaren Menschen und wunderbarem Essen. Und was will man mehr?

2023 waren Sie nicht nur direkt wieder für ein Klavier-Rezital beim Rheingau Musik Festival gebucht, sondern sprangen auch als Solist für die Pianistin Khatia Buniatishvili in einem Konzert mit dem Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Gianandrea Noseda mit Rachmaninows 2. Klavierkonzert ein. Was haben Sie für Erinnerungen an diesen Abend?
Manchmal, wenn es um wichtige Dinge geht, habe ich das Gefühlt, dass alles wie im Flug oder im Traum vergeht. So ging es mir auch an diesem Abend, der für mich wirklich sehr besonders war. Ich kam erst am Morgen des Auftritts aus den USA eingeflogen, wo ich am Vortag noch einen Auftritt hatte an. Ich erinnere mich, dass es ein live gestreamtes Konzert war, das auch online bei ARTE einsehbar werden sollte, also mussten wir bei der Generalprobe die Konzertkleidung tragen und uns natürlich schminken. Alles war etwas chaotisch und es war auch noch das erste Mal, dass ich mit diesem Orchester gespielt habe. Im Nachhinein erinnert es mich ein bisschen an den Chopin-Wettbewerb und das Galakonzert nach der Bekanntgabe des Preises. Alles passierte so schnell, aber ich muss sagen, dass ich die Aufführung wirklich genossen habe. Es war übrigens auch mein erstes Mal, dass ich im Wiesbadener Kurhaus gespielt habe. Einen solch inspirierenden Ort zu haben, hilft natürlich.

Im diesjährigen „Sommer voller Musik“ werden Sie Tschaikowskis berühmtes erstes Klavierkonzert an der Seite der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen aufführen. Was ist das Besondere daran, mit großem Orchester auf der Bühne zu stehen? Und wie stehen Sie zu diesem Werk?
Ja, das kitschige! [lacht]. Tatsächlich habe ich zunächst Tschaikowskis zweites Klavierkonzert gelernt und habe dann länger überlegt, ob ich das erste auch lernen soll oder nicht. Ganz ähnlich übrigens wie bei die Rachmaninows Nr. 3… Da es schon so viele Pianisten gespielt haben, stand ich vor der Frage, was es wohl bringt, wenn ich es auch noch lerne. Nur, wenn ich etwas Neues zum Ausdruck zu bringen habe. Und bis zum letzten Sommer, als ich zum ersten Mal Tschaikowskis Nr. 1 gespielt habe, habe ich mir daher gesagt, dass ich mehr Stücke von Tschaikowski spielen muss, um ihn besser zu verstehen und kennenzulernen. Und so kommt es also, dass ich diesen Sommer sein erstes Konzert spiele.

 

Beim Spielen mit einem großen Orchester geht es hauptsächlich um die Balance, den Klang und natürlich darum, ob wir ähnliche Vorstellungen haben. Tschaikowskis Musik ist einerseits sehr, sehr massiv, aber andererseits kann sie auch sehr klar und einfach sein. Sie ist so, dass sie, glaube ich, wirklich jeder versteht und für die breite Öffentlichkeit gedacht. Das Konzert Nr. 1 ist wahrscheinlich eines der berühmtesten Klavierkonzerte der Musikgeschichte. Deshalb denke ich, dass es für das Spielen solcher Stücke heutzutage noch wichtiger ist, dass wir eigene und neue Ideen haben.

Gemeinsam mit einem Streichtrio werden Sie Klavierquartette von Brahms und Fauré auf die Bühne bringen. Wie erarbeiten Sie sich solche Kammermusikwerke? Und wie viel Probenzeit bedarf es dann mit den anderen Musikerinnen und Musikern?
Ich weiß nicht, wie viel Zeit wir für die Proben haben werden, aber für mich gibt es generell zwei Arten da ranzugehen: Entweder wir lassen das spontane Gefühl des Zusammenspielens auf der Bühne oder wir proben so viel wie möglich. Beide Erfahrungen habe ich schon gemacht, und beide können sehr, sehr großartig sein. Ich es kaum erwarten, solche Stücke mit wunderbaren Musikern aufzuführen, denn es ist wirklich schon eine Weile her, dass ich Kammermusik gespielt habe. Während meiner Schulzeit habe ich das ziemlich intensiv getan, und ich habe es wirklich vermisst. Zusammen Kammermusik zu machen war für mich immer eine intime und schöne Erfahrung, vor allem über detailliert über Ideen zu diskutieren. Und die Diskussionen endeten immer mit endlosen Witzen, entweder über Bratsche oder über Streicher oder über unsere Lehrer [lacht].

In einem Solo-Rezital sind Sie dieses Jahr mit Klaviersonaten von Skrjabin, Beethoven, Haydn und Prokofjew zu erleben. Wie stellen Sie das Programm für einen solchen Abend zusammen?
Ich denke, ich suche die Balance zwischen Ernst und Spaß, alt und neu, konservativ und aufgeschlossen, traurig und fröhlich.

© Bartek Barczyk

In Ihrem letzten Konzert sind Sie mit Chopins virtuosem ersten Klavierkonzert und dem Tonhalle-Orchester Zürich unter Paavo Järvis Leitung zu Gast. Was ist aus Ihrer Sicht das Spannende an diesem Werk?
Dieses Werk wird immer eine Herausforderung für den Rest meines Lebens sein, denn ich habe es nicht nur so oft schon gespielt, sondern ich entdecke auch jedes Mal neue Dinge, die mich in gewisser Weise immer wieder überraschen. Natürlich habe ich das Konzert im Finale des Chopin-Wettbewerbs gespielt, was wirklich ein unvergesslicher Moment ist. Und witzigerweise habe ich dieses Stück schon ein paar Mal mit Paavo Järvi und dem Tonhalle-Orchester Zürich gespielt. Letztes Jahr waren wir in Japan auf Tournee und ich kann es kaum erwarten wieder vereint zu sein. Es war eine unvergessliche Zeit! Das Orchester hat einen wunderbar warmen Klang, aber gleichzeitig haben sie diesen kammermusikalischen Stil, der für dieses Stück sehr wichtig ist. Paavo ist einfach ein erstaunlicher Musiker, der die folkloristischen Themen und Tänze kennt, und was am wichtigsten ist, wir genießen den Humor auf der Bühne.

Zum Schluss: Worauf darf sich das Publikum des Rheingau Musik Festivals bei Ihren Konzerten besonders freuen? Was möchten Sie den Besuchern mit auf den Weg geben?
Kommen Sie einfach. Ich erwarte nicht, dass Sie etwas mitnehmen, sondern dass Sie in eine andere Welt entführt werden.

Bruce Liu beim Rheingau Musik Festival 2024

K 2 | So. 23.6. | 19 Uhr
Kurhaus Wiesbaden

Bruce Liu, Klavier
hr-Sinfonieorchester
Alain Altinoglu, Leitung

K 13 | Fr. 28.6. | 20 Uhr
Kurhaus Wiesbaden

Bruce Liu, Klavier
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Jérémie Rhorer, Leitung

K 36 | Di. 9.7. | 19 Uhr
Schloss Johannisberg

Bruce Liu, Klavier

 

K 42 | Do. 11.7. | 19 Uhr
Schloss Johannisberg

Bruce Liu, Klavier
Yamen Saadi, Violine
Sara Ferrández, Viola
Kian Soltani, Violoncello

K 139 | Fr. 30.8. | 20 Uhr
Kurhaus Wiesbaden

Bruce Liu, Klavier
Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi, Leitung

Titelfoto © Christoph Köstlin

Anastasia Kobekina ist begierig danach, Neues zu entdecken und dem Bekannten unvoreingenommen zu begegnen. In fünf Konzerten präsentiert unsere diesjährige Fokus-Künstlerin am Violoncello den Facettenreichtum ihres musikalischen Könnens im Rheingau.

Als Kind wollten Sie in der Musikschule, in der Ihre Mutter unterrichtete, am liebsten alle Instrumente erlernen. Warum ist es am Ende das Cello geworden?
Als Kind begeisterte mich die Spieltechnik, bei der der Bogen über die Saiten springt, ganz besonders – man nennt sie „Abpraller“. Dieser Trick funktionierte, denn als Dreijährige wollte ich das unbedingt lernen. Zuerst war das Cello nur ein Spielzeug, ein Spiel, und dann… 25 Jahre später bin ich immer noch fasziniert von der Kraft des Cellos und seiner Fähigkeit zu singen, zu sprechen, zu weinen und zu lachen. Es ist unglaublich, wie dieses Instrument die menschliche Stimme so genau imitieren kann.

Sie sind in einem musikalischen Haushalt groß geworden, Ihre Mutter ist Pianistin, Ihr Vater Komponist. Wann wuchs in Ihnen der Wunsch, Musikerin zu werden?
Ich habe schon mein ganzes Leben lang getanzt, zum Klavierspiel meines Vaters gesungen, selbst etwas gespielt oder improvisiert. Ich glaube nicht, dass ich es damals tatsächlich als Beruf betrachtet habe – es war einfach eine natürliche Art zu sein.

2006 wurden Sie am Moskauer Konservatorium aufgenommen, später studierten Sie in Kronberg, Berlin, Paris und Frankfurt. Was ist das Wichtigste, das Ihnen Ihre Lehrerinnen und Lehrer mit auf Ihren musikalischen Weg gegeben haben?
Ich glaube, sie alle halfen mir, eine tiefere Verbindung mit dem Instrument zu schaffen, über das bloße Holz und die Saiten hinauszugehen und einen Weg zu finden, die Musik, wie ich sie in meinem Herzen und in meiner Vorstellung höre und fühle, auszudrücken.

Als international aufstrebende Cellistin sind Sie zunehmend in der ganzen Welt unterwegs. Ist es anstrengend für Sie, Konzerte auf der ganzen Welt zu spielen? Reisen Sie gern?
Das Reisen und Entdecken ist definitiv mit das Schönste am Musikerdasein. Jede Konzertreise ist einzigartig und voller Kontraste, man lernt Menschen aus unterschiedlichen Berufen und verschiedene Landschaften kennen. Auch wenn es nicht selten zu Verspätungen und verlorenem Gepäck kommt, ist das ein kleiner Preis im Vergleich zu den tollen Erfahrungen, die man macht.

Auf Ihrem neu erschienenen Album bewegen Sie sich musikalisch vom Barock bis in die Moderne durch alle Jahrhunderte. Gibt es eine Epoche, der Sie sich derzeit am meisten verbunden fühlen, die Sie aktuell am meisten interessiert oder ist es gerade die musikalische Entwicklung über die Jahrhunderte hinweg, die Sie fasziniert?
Ich liebe einfach Musik in all ihren Formen. Es gibt Jahrhunderte, in denen Komponisten bis an ihre Grenzen gegangen sind, um Emotionen, Geschichten und ganze Welten in ihrer Kunst auszudrücken, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Ich liebe es, all diese Aspekte in verschiedenen Musikepochen zu erforschen und dann meine Erfahrungen weiterzugeben, in der Hoffnung, bei meinem Publikum Assoziationen oder Erinnerungen zu wecken.

In letzter Zeit haben Sie sich intensiv mit verschiedenen Instrumenten der Cellofamilie beschäftigt. Wie unterscheiden sich diese Instrumente im Klang und der Spieltechnik? Und haben Sie ein Lieblingsinstrument?
Jedes Instrument, das ich spiele, ist sehr unterschiedlich in der Handhabung, alle besitzen einen eigenen Charakter – wie Menschen! Aber ich genieße die Vielfalt, den Facettenreichtum und die Ausdrucksmöglichkeiten, die mir jedes Instrument bietet.

Sie haben Ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Ist die Musik auch im Alltag Ihr Ausgleich oder gibt es andere Aktivitäten, die Ihnen Ausgleich verschaffen?
Musik spielt in meinem Leben eine wichtige Rolle, und Musikerin zu sein, lässt sich nicht auf eine typische 5-Tage-Arbeitswoche beschränken. Es ist eine Art zu leben. Aber es gibt nicht nur Musik – und vor allem nicht nur klassische Musik! Das Fotografieren, Zeichnen oder die Erlebnisse mit meinen Freunden sind nicht weniger wichtig. Ich glaube, dass man das Leben in vollen Zügen genießen muss, um mit Musik Geschichten erzählen zu können. Und dazu gehört für mich auch, andere Dinge als nur die klassische Musik zu erforschen und zu erleben.

© Xenia Zasetskaya

Im Jahr 2022 gaben Sie Ihr umjubeltes Debüt beim Rheingau Musik Festival in einer Spanischen Nacht im Kreuzgang von Kloster Eberbach, 2023 wurden Sie direkt wieder in den Rheingau eingeladen. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihr erstes Konzerte beim Rheingau Musik Festival?
Es war so ein schöner Abend im Hof des Klosters Eberbach! Die Vögel sangen und die majestätische Kulisse des Klosters verwandelte sich mit jedem Augenblick im Licht des Sonnenuntergangs. Eine magische Nacht, an die ich mich gerne erinnere.

Sie treten nicht nur mit Orchestern auf, sondern auch solo oder in kammermusikalischer Besetzung. Wie unterscheiden sich diese Arten des Musizierens für Sie? Bevorzugen Sie eine davon?
Ich genieße die Abwechslung, allein oder mit hundert Musikerinnen und Musikern auf der Bühne zu stehen und die Rollen zu wechseln. Denn ansonsten wäre es so, als ob man sich für den Rest seines Lebens nur für eine kulinarische Richtung, für eine Küche entscheiden müsste – unmöglich!

Ihren Fokus beim Rheingau Musik Festival eröffnen Sie im Juni mit einem musikalischen Meilenstein der Celloliteratur: mit J. S. Bachs berühmten Cellosuiten. Diese werden Sie nicht nur im Wechsel mit weiteren Werken in diesem und einem weiteren Konzert im August präsentieren, sondern auch auf unterschiedlichen Instrumenten – eine kleine Sensation. Warum haben Sie sich dafür entschieden, dieses Werk nicht nur auf einem, sondern auf verschiedenen Instrumenten auf die Bühne zu bringen?
Die Suiten von J. S. Bach wurden vor über 300 Jahren geschrieben und einige ihrer Melodien sind so bekannt, dass Sie sie vielleicht sogar aus Telefonwarteschleifen oder Fernsehwerbung kennen. Ich denke, es ist interessant, dem Publikum die Möglichkeit zu geben, diese zeitlose Musik im Wechsel mit anderen Stücken zu erleben. Im ersten Konzert spiele ich drei Suiten auf dem Stradivari-Cello von 1698, das gebaut wurde, bevor die Suiten überhaupt komponiert wurden. Daneben präsentiere ich einige meiner liebsten kurzen Stücke von zeitgenössischen Komponisten, darunter ein Stück meines Vaters. Im zweiten Konzert gehe ich mit drei Instrumenten auf die Bühne (einige von Ihnen werden mir dabei helfen müssen!), darunter ein Barockcello und ein fünfsaitiges Piccolo-Cello, um Bachs Suiten Nr. 4 bis 6 aufzuführen. Zwischen den Suiten können Sie wunderschöne Miniaturen auf der Viola da Gamba von Carl Friedrich Abel und Marin Marais erleben.

© Julia Altukhova

In einem Konzert mit dem Kammerorchester Basel werden Sie einen musikalischen Streifzug durch verschiedene Werke mit Venedig-Bezug unternehmen. Wie wird das Programm für einen solchen Konzertabend ausgewählt?
Venedig ist die einzige Stadt, die mich so tief bewegt hat, dass ich mit diesem Programm ein musikalisches Porträt dieser Stadt schaffen wollte – ein Kaleidoskop aus Geschichten, Erinnerungen, Fantasien, Realem und Imaginärem. Von der Renaissance mit Monteverdi und Dowland bis zur Gegenwart mit Caroline Shaw und Valentin Silvestrov, und natürlich mit der Musik von Antonio Vivaldi.

Gemeinsam mit dem Bandoneonisten und Komponisten Omar Massa und Julien Quentin am Klavier werden Sie in einer Argentinischen Nacht auf Schloss Johannisberg zu erleben sein. Musizieren Sie drei schon länger zusammen?
Wir haben schon früher in verschiedenen Ensembles miteinander gespielt, aber diese spezielle Besetzung als Trio ist eine Premiere für uns! Ich freue mich auf den stimmungsvollen Abend, an dem wir uns gemeinsam mit dem Publikum auf eine musikalische Reise nach Buenos Aires und Lateinamerika begeben.

Das Cellokonzert von Antonín Dvořák ist eines der berühmtesten dieser Gattung. In Ihrem letzten Konzert beim Rheingau Musik Festival werden Sie dieses Werk gemeinsam mit dem Czech Philharmonic unter der Leitung von Jakub Hrůša darbieten. Wie stehen Sie zu diesem Werk und diesem Komponisten?
Das majestätische Dvorak-Cellokonzert ist zweifellos der König aller Cellokonzerte: so viele herzergreifende Melodien, die Klangfülle des gesamten Orchesters und des lyrischen Cello-Solos… In so vielen Momenten bekomme ich eine Gänsehaut vor lauter Schönheit und Abenteuerlust dieser Musik. Eine Geschichte des Lebens, in der natürlich die Liebe das Hauptmotiv ist.

Zum Schluss: Worauf darf sich das Publikum des Rheingau Musik Festivals bei Ihren Konzerten besonders freuen? Und worauf freuen Sie sich ganz besonders?
Ich bin dem Rheingau Musik Festival sehr dankbar, dass es mir die Möglichkeit gibt, in diesem Sommer mehrfach aufzutreten. Und ich freue mich sehr darauf, Sie, das Festivalpublikum, besser kennenzulernen und mit Ihnen über die Musik in Dialog zu treten. Ich freue mich darauf, einige meiner Lieblingsstücke mit Ihnen zu teilen und gemeinsam mit Ihnen die magische Kraft der Musik zu erleben.

Anastasia Kobekina beim Rheingau Musik Festival 2024

K 16 | So. 30.6. | 17 Uhr
Kloster Eberbach, Hospitalkeller

Anastasia Kobekina, Violoncello

K 81 | Do 25.7. | 20 Uhr
Kloster Eberbach, Basilika

„Venezianische Nacht“
Anastasia Kobekina, Violoncello
Kammerorchester Basel
Julia Schröder, Violine & Leitung

K 117 | So 11.8. | 17 Uhr
Mittelheim, St. Aegidius

Anastasia Kobekina, Barockcello, Viola Da Gamba & Piccolocello

K 120 |Do 15.8. | 19 Uhr
Schloss Johannisberg, Fürst-von-Metternich-Saal

„Argentinische Nacht“
Anastasia Kobekina, Violoncello
Omar Massa, Bandoneon und Komponist
Julien Quentin, Klavier

K 134 | So 25.8. | 19 Uhr
Kurhaus Wiesbaden, Friedrich-von-Thiersch-Saal

Anastasia Kobekina, Violoncello
Czech Philharmonic
Jakub Hrůša, Leitung

Titelfoto © Julia Altokhova

Candy Dulfer ist immer bereit, sich neu zu erfinden. Sie liebt die Bühne und begeistert die Menschen auf der ganzen Welt mit ihrer energiegeladenen Musik. Als Fokus Jazz-Künstlerin tritt sie in diesem Sommer in drei ganz besonderen Konzerten beim Rheingau Musik Festival auf.

Sie kamen schon früh mit Musik in Berührung: Ihr Vater Hans Dulfer ist selbst ein bekannter und leidenschaftlicher Saxophonist. Wie sehr hat er Sie musikalisch geprägt?
In unserem Haus gab es immer Musik. Musikerinnen und Musiker aus aller Welt besuchten meine Mutter und meinen Vater, so dass ich von klein auf feststellte, dass Musik Freude, Liebe und Vielfalt bedeutet. Das empfinde ich immer noch so. Musik kann Menschen auf die effektivste und einfachste Weise miteinander verbinden.

Mit sechs Jahren begannen Sie dann mit dem Saxophonspiel, mit 11 Jahren nahmen Sie Ihre erste Platte auf und gründeten drei Jahre später eine eigene Band. Wann wuchs in Ihnen der Wunsch, die Musik auch zu Ihrem Beruf zu machen?
Mein Vater war Berufsmusiker und sehr erfolgreich, aber er hatte auch immer einen Nebenjob. Er wollte, dass meine Mutter und ich ein gutes Leben haben, auch im materiellen Sinne. Damals verdienten Jazzmusiker nicht viel Geld. Er wollte auch nie seine Kunst kompromittieren, um Geld zu verdienen, also schlief er nur wenig und arbeitete sowohl tagsüber als auch nachts – aber er liebte es. Als ich anfing, hätte ich nie gedacht, dass ich mit dem Saxophonspiel mein Geld würde. Ich dachte, ich bräuchte daneben einen Job, um damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen, und ich arbeitete in einer Buchhandlung und machte mein Abitur. Aber als ich mit Prince und Dave Stewart spielen durfte, merkte ich plötzlich, dass ich von der Musik allein leben konnte.

In den 1980er Jahren wurde Musikerlegende Prince auf Sie aufmerksam. 1989 kam Ihr Durchbruch mit der Single „Lily was here“, die Sie gemeinsam mit Eurythmics-Musiker Dave Stewart einspielten, 1990 waren Sie an der Seite von Prince auf seinem Album „Graffiti Bridge“ zu hören. Was hat das als junge Frau mit Ihnen gemacht, mit solchen bekannten Musikern auf der Bühne zu stehen?
Es war surreal, ich hatte mir so etwas nie erhofft. Meine Ambitionen waren bescheiden – oder vielleicht hatte ich nicht genug Vertrauen in meine Fähigkeiten als Musikerin. Jedenfalls ist alles viel größer und besser geworden, als ich es je erwartet hätte.

© Carin Verbruggen

Ihre Karriere nahm danach weiter an Fahrt auf, Sie standen mit weiteren großen Namen wie Van Morrison, Maceo Parker und der Band Pink Floyd auf der Bühne. Aber Sie wollten trotzdem weiterhin unabhängig sein und Ihren eigenen Weg gehen. War es schwer, sich unter all den Musikgrößen zu behaupten und eine eigenständige Karriere zu machen?
Ja, manchmal bekam ich diese außerordentlichen Angebote, mit unglaublichen Musikern auf Tournee zu gehen – was aber bedeutete, für den Rest meiner Karriere eine Nebenrolle zu spielen. Doch obwohl ich anfangs sehr schüchtern war, hatte ich tief in mir immer das Gefühl, dass ich meine eigene Chefin sein muss. Ich denke, dass ich am Ende eine gute Wahl getroffen habe.

Sie stehen nun seit etwa 35 Jahren sowohl mit ihrer eigenen Musik sowie als Begleitmusikerin auf den großen Bühnen der Welt und sind trotzdem am Boden geblieben. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Ich habe nicht wirklich ein Rezept, es ist manchmal sogar großer Aufwand, seine Relevanz zu behalten und im Spiel zu bleiben. Aber abgesehen davon, dass man immer etwas Neues macht, hart arbeitet und Risiken eingeht, denke ich, geht es vor allem auch darum, so nett wie möglich zu sein. Man muss ein guter Mensch für seine Mitmenschen sein und seinem Publikum gegenüber dankbar und aufgeschlossen sein. Das ist ein großer Teil dessen, was die Leute dazu bringt, bei einem zu bleiben. Ich habe so treue, wunderbare, warmherzige und intelligente Fans, das ist wirklich ein Segen.

Sie sind stilistisch überwiegend im Funk Zuhause. Wie entscheiden Sie, mit welchen Songs, welcher Musik Sie sich als nächstes auseinandersetzen möchten?
Es geht immer um Gefühle. Ich muss etwas zuerst lieben und dann versuche ich, dem etwas Sinnvolles hinzuzufügen. Ich verfolge Trends, weil ich wissen will, was passiert. Aber nicht jeder Trend in der Musik ist etwas für mich und Funk, Soul und Jazz werden immer das Herzstück dessen sein, was ich mache.

Als Musikerin sind Sie oftmals auch in der ganzen Welt unterwegs. Ist das Tour-Leben anstrengend für Sie? Was schätzen Sie am Reisen und am Zuhause-Sein besonders?
Ich finde es wunderbar, zu Hause zu sein, aber auch anstrengender, weil man dann immer die Erwartung hat, freie Zeit zu haben. Doch dann heißt es Rechnungen bearbeiten, Wäsche waschen und Lebensmittel einkaufen (lacht). Auf Tournee befinde ich mich in einer kleinen Traumwelt mit meiner wunderbaren Band und Crew – und ich muss nie mein eigenes Bett machen. Wenn ich jetzt noch meine Familie immer mit auf Tour nehmen könnte, wäre das die ideale Situation (lacht).

Die Musik ist nicht Ihr einziges Standbein. Ab 2007 begannen Sie auch Sendungen im niederländischen Radio und TV zu moderieren, in denen Sie Künstlerpersönlichkeiten oder Ihre Lieblingsstücke präsentieren. Was genau macht das Moderieren für Sie attraktiv?
Auch aktuell moderiere ich im Radio und habe ein wöchentliches zweistündiges Programm. Und auch das mache ich aus dem einen Grund: meiner Liebe zur Musik, zu Musikerinnen und Musikern und dem Bedürfnis, einem großen Publikum Talent und großartige Musik näher zu bringen. Ich habe in meinen jungen Jahren so viel schöne Musik und fantastische Menschen kennengelernt, dass ich das jedem wünsche. Ich möchte Barrieren abbauen und die Menschen dazu bringen, über den Tellerrand hinauszuschauen. Das ist meine Berufung.

Mit großer Leidenschaft setzen Sie sich auch für den musikalischen Nachwuchs im Pop- und Jazz-Bereich ein. Auch beim Rheingau Musik Festival kuratieren Sie seit 2022 in der Reihe „Candy Dulfer empfiehlt…“ drei Konzerte, in denen Sie dem Rheingauer Publikum junge Musikerinnen und Musiker vorstellen. Was ist Ihre Motivation dahinter und was möchten Sie diesen jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Nun, es gibt mir eine große Zufriedenheit, große Talente und ein liebenswertes Publikum zusammenzubringen, weil sie sich gegenseitig brauchen, und weil ich es liebe, in diesem Prozess der Katalysator zu sein. Und ich selbst hatte auch so viele wunderbare Menschen in meinem Leben, die mir geholfen haben, als ich jung war, dass ich das weitergeben möchte, indem ich jüngeren Musikerinnen und Musikern unterstütze und sie ermutige.

 

Candy Dulfer beim Rheingau Musik Festival 2024

Im Jahr 2018 waren Sie das erste Mal beim Rheingau Musik Festival zu Gast, 2021 traten Sie bei den Strandkorb-Konzerten in der BRITA-Arena auf. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Konzerte beim Rheingau Musik Festival?
Beide Konzerte waren großartig, aber das Strandkorb-Open Air ’21 war sehr emotional. Es war unsere erste Show nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie und ich war so glücklich und dankbar, wieder auftreten zu können, dass ich, glaube ich, bei jedem zweiten Song geweint habe (lacht).

Sie stehen in Ihren diesjährigen Konzerten mit verschiedensten Musikerinnen und Musikern und Programmen auf der Bühne. Wie konzipieren Sie solche Konzert-Programme und wie wählen Sie die entsprechenden Musikerinnen und Musikern dafür aus?
Diese Dinge passieren einfach, ich treffe viele neue Musikerinnen und Musiker auf Tournee oder finde sie im Internet. Es gibt mittlerweile so viele Talente da draußen, das ist einfach umwerfend und inspirierend.  Ich kann sie ansprechen und die coolsten Sachen organisieren, aber das Rheingau Musik Festival macht die Umsetzung möglich und dafür bin ich sehr dankbar!

Bei Ihrem ersten Konzert im diesjährigen „Sommer voller Musik“ treten Sie gemeinsam mit dem Gitarristen und Singer-Songwriter Jonathan Butler auf der Seebühne von Schloss Vollrads auf. Musizieren Sie beide schon länger zusammen?
Wir kennen und bewundern uns seit vielen Jahren und jammen gelegentlich zusammen, hatten aber noch nie die Möglichkeit, zusammen aufzutreten. Ich bin so aufgeregt darüber, dass ich eine Gänsehaut bekomme, wenn ich daran denke! Wenn Sie Jonathan live erleben, werden Sie sehen, wovon ich spreche. Seine Musik ist sehr spirituell, und obwohl wir aus verschiedenen Teilen der Welt kommen, fühlen wir uns so verbunden – auch weil wir eine schmerzhafte historische Vergangenheit in Bezug auf die Apartheid teilen. Musik heilt und verbindet die Menschen.

© Pablo Delfos

Im Wiesbadener Kurpark werden Sie mit Musikerinnen und Musikern, die ebenfalls mit Prince zusammengearbeitet haben, eine Tribute-Show für diese Musikikone auf die Bühne bringen. Was darf das Publikum an diesem Abend erwarten?
„The Purple Jam“ ist unsere Art, uns bei ihm zu bedanken, und gleichzeitig geht es darum, die Erinnerung an Prince lebendig zu halten. Natürlich werden die Leute immer seine Musik hören, aber es gibt bereits eine neue Generation, die ihn nie live erlebt hat und ihn nie wieder sprechen und singen hören wird. Da wir alle viele Jahre lang eng mit ihm zusammengearbeitet haben, können wir hoffentlich ein bisschen von diesem Funken und der Stimmung zurückbringen. Wir werden seine Lieder spielen, aber auch Geschichten über unsere gemeinsamen Erlebnisse erzählen. Und Songs spielen, die von ihm inspiriert sind. Aber vor allem werden wir Spaß haben!

Last but not least werden Sie auf dem Gestüt Schafhof in Kronberg mit einer Band auftreten, die ausschließlich aus Frauen besteht. Ist es ein anderes Gefühl, eine andere Energie, wenn man nur mit Frauen auf der Bühne steht?
Das ist es! Und es wird etwas ganz Besonderes sein, da ich selten die Gelegenheit dazu hatte. Ich werde ein paar super talentierte Frauen mitbringen und freue mich sehr auf dieses „Female Fest“.

Zum Schluss: Worauf darf sich das Publikum des Rheingau Musik Festivals bei Ihren Konzerten besonders freuen? Und worauf freuen Sie sich ganz besonders?
Ich fühle mich, als wäre der Rheingau jetzt meine zweite Heimat. Ich bin absolut begeistert und fühle mich sehr geehrt, Fokus Jazz-Künstlerin zu sein. Und das Publikum kann mit einigen wirklich temperamentvollen und inspirierenden Konzerten rechnen, denn selten bekomme ich die Chance, mich so sehr auszuprobieren und Dinge zu tun, die so anders sind als meine üblichen Shows. Ich bin super aufgeregt, wie Sie vielleicht merken, und ich kann es kaum erwarten!

K 37 | Di. 9.7. | 19 Uhr
Schloss Vollrads, Seebühne

Candy Dulfer & Jonathan Butler

K 70 | Sa. 20.7. | 19:30 Uhr
Wiesbaden, Kurpark

„The Purple Jam“ – A Tribute to Prince
Candy Dulfer, saxophone
und weitere Musikerinnen und Musiker, die mit Prince zusammengearbeitet haben

 

K 123 | Fr. 16.8. | 19:30 Uhr
Kronberg, Gestüt Schafhof

Candy Dulfer: Ladies Night
Candy Dulfer & Female Band

 

Titelfoto © Paul Bossenmaier

Foto ©  Rüdesheim Tourist AG/Robert Carrera
Text: Ruth Seiberts

„Weil die Mädel so lustig und die Burschen so durstig“: Es ist eine etwas dürftige, noch nicht einmal gut gereimte Antwort, die auf die Frage „Warum ist es am Rhein so schön?“ im gleichnamigen Karnevalslied der 1930er Jahre gegeben wird. Musik über den Rhein, Musik inspiriert vom Rhein, Musik, die am Rhein entstanden ist, hat viele Facetten, und – ein Glück – längst nicht immer kommt sie so hemdsärmelig und weinselig daher wie hier.

Gleichwohl: Wann immer der Rhein in Musik einfließt, geht es kaum ohne eine emotionale Komponente – kein Wunder also, dass vor allem die Romantik den Fluss als musikalisches Sujet für sich entdeckte. Ein Mozart etwa, der auf dem Rhein immerhin von Mainz bis Walluf unterwegs war, hatte noch keine Augen für landschaftliche Besonderheiten, sondern interessierte sich vor allem für das „Schiff, welches groß ist, 3 Zimmer und vorne und hinten noch große verdeckte Orte hat, wo die Kaufmanns Güter liegen.“ Und selbst für Beethoven, immerhin 200 Meter vom Rhein entfernt in Bonn geboren, spielte der Fluss keine besondere Rolle; die Natur, die in seine Werke Eingang fand, war vielmehr eine frei imaginierte.

Peter Ludwig Kühnen: Rheinlandschaft © Wikicommons
© Rüdesheim Tourist AG /Marlis Steinmetz

Zum „heiligen Strome“ wurde der Rhein dann aber bei den Dichtern der Romantik wie Heinrich Heine, die damit überhaupt erst die Komponisten auf das Thema brachten. Der Rhein als Band, als Spiegelbild, als Geheimnisträger, als Kulisse mittelalterlicher Burgszenen: Diese Motive fanden zunächst in die Literatur und dann in die Musik Einzug, etwa bei Robert Schumann, der Heines Verse kongenial in seiner „Dichterliebe“ umsetzte. Apropos Schumann: Der hatte ein durchaus ambivalentes Verhältnis zum Fluss. In seiner (gar nicht einmal von ihm selbst so benannten) „Rheinischen Sinfonie“, seiner Dritten, mögen zwar Erinnerungen an erlebte Szenen in der Rheinstadt Köln mitanklingen, aber der Rhein hätte ihm fast den Tod gebracht, als er sich 1854 in psychischer Notlage in den Fluss stürzte.

Hätte Schumann nur auf Felix Mendelssohn gehört, der bereits zuvor als Städtischer Musikdirektor in Düsseldorf wirkte. Der hatte 1840 seine musikalische „Warnung vor dem Rhein“ ausgesprochen – „An den Rhein, an den Rhein, zieht nicht an den Rhein“. Allerdings hatte der Textdichter des Lieds nicht die Gefährdung von Selbstmördern im Sinn gehabt, sondern nur die Sorge zum Ausdruck gebracht, dass es dem Adressaten dort schlichtweg zu gut gehen könnte. „Da geht dir das Leben zu lieblich ein“. Man möchte fast ergänzen: „weil die Mädel so lustig und die Burschen so durstig“.

Übrigens hätte noch eine andere dritte Sinfonie den Beinamen „Rheinische“ verdient: Johannes Brahms vollendete seine Dritte im Sommer 1883 unweit des Rheins in Wiesbaden, und wer mag, hört durchaus etwas von dieser sommerlichen Leichtigkeit am Wasser aus der Musik. Ganz anders bei seinem Gegenspieler Richard Wagner: Der machte den Rhein in seine Oper „Rheingold“ zu einem der Schauplätze – und lässt es dementsprechend im Vorspiel aus der Tiefe in dunklen Klangfarben brodeln und wogen. Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege! Wagala weia!“, eröffnet Rheintochter Woglinde das Spiel – bis heute wohl eine der bizarrsten Hommagen an einen besonderen Fluss.

© Rüdesheim Tourist AG/Karlheinz Walter

Konzert

15.7. | Fr. 20 Uhr | K 43

Kurhaus Wiesbaden
Friedrich-von-Thiersch-Saal

Daniil Trifonov Klavier
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Ruth Reinhardt Leitung

Johannes Brahms Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op. 15 Robert Schumann Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97
„Rheinische“

Klangwelten als Spiegel unserer Zeit: Musik als emotionale Verbindung und existenzielle Auseinandersetzung

Die künstlerische Auseinandersetzung mit den aktuellen Krisen und Herausforderungen unserer Zeit geht weit über das rein Konzeptionelle hinaus. Akute Herausforderungen wie Wirtschaftskrisen, der Ost-West-Konflikt oder die Ausläufer einer weltweiten Pandemie haben nicht nur auf das allgemeine Leben einen enormen Einfluss, auch auf die Vorbereitung der Musikerinnen und Musiker wirken sie sich aus.

Musik berührt die Menschen, indem sie Emotionen, Gedanken und Erfahrungen in ein klangvolles Erlebnis verwandelt. Sie besitzt die einzigartige Fähigkeit, uns in einen Zustand der Empfindsamkeit zu versetzen, kann Trost und Freude spenden und uns in einem Moment in eine andere Welt entführen. Sie ist außerdem universelles Bindeglied zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen und Hintergründe, bringt Menschen zusammen und fördert das Verständnis und die Toleranz, um Grenzen und Barrieren zu überwinden.

Zukunft Klassik e.V. – Förderung von talentierten Musikensembles

Wie wichtig Musik für das allgemeine Wohlbefinden ist, ist kein Geheimnis. Dennoch fehlt es immer wieder an Förderungen für den Erhalt des klassischen Musiklebens. Der gemeinnützige Verein Zukunft Klassik e.V. widmet sich gezielt der Schaffung regelmäßiger Auftrittsmöglichkeiten für aufstrebende Musiktalente im Bereich der klassischen Musik und arbeitet eng mit Konzertveranstaltern zusammen, um die Umsetzung solcher Projekte zu ermöglichen.

Im zweiten Förderungsjahr hat der Verein Zukunft Klassik beim Rheingau Musik Festival insgesamt sechs Konzerte realisiert, die in diese aktuell sehr bewegte Zeit kaum besser passen können. In den Werken von Gustav Mahler, die oft von Schmerz und Sehnsucht geprägt sind, hören wir die menschliche Erfahrung in ihrer tiefsten und bewegendsten Form. Die Monumentalität seiner Kompositionen spiegelt die Größe der existenziellen Fragen wider, mit denen wir in unserer Zeit konfrontiert sind. Gleich zwei Werke von Gustav Mahler fanden sich im Projektschwerpunkt 2023 wieder.

Mahlers Dritte Sinfonie führte das FREIGEIST Ensemble im Kloster Eberbach auf. In dieser monumentalen Sinfonie wollte der Komponist eine eigene Welt mit allen Mitteln der Musik erschaffen. Die Arbeitsweise des Ensembles steht diesem Monumentalwerk aber eigentlich entgegen: Denn die Musikerinnen und Musiker des FREIGEIST Ensembles widmen sich zwar großen Partituren, arbeiten diese allerdings gekonnt für kleine Ensembles und Besetzungen um. Die Klanggewalt geht dabei kaum verloren, im Gegenteil: Es ergeben sich spannende und neue Höreindrücke, die die Werke in einem völlig neuen Licht erstrahlen lassen.

Ein weiteres Werk von Mahler hat das Gustav Mahler Jugendorchester interpretiert. In seiner Neunte Sinfonie widmet sich der Komponist transzendenten Themen. Vermutlich unter aufkommenden Todesahnungen komponiert, durchzieht die Sinfonie der Abschied aus dem Leben als zentrales Thema. Die Subtilität und Tiefe dieser musikalischen Erzählung spielte das Mahler Jugendorchester unter der Leitung von Jakub Hrůša im Kloster Eberbach.

Großer Klang bei kleiner Besetzung: das FREIGEIST Ensemble

Der südafrikanische Cellist Abel Selaocoe erforschte mit seinem Projekt „Where ist home“ den Begriff „Heimat“ in all seinen Facetten. Die Suche nach einem Ort, der Kraft gibt, ist eine universelle menschliche Sehnsucht. Selaocoe gelang es mit seinem Violoncello, diese Sehnsucht in klangliche Erlebnisse zu verwandeln. Auf Schloss Johannisberg hat er im Rahmen des Zukunft Klassik Engagements dem Publikum eindrucksvoll diese emotionale Bindung zu Heimat und Menschlichkeit gezeigt.

Der Tenebrae Choir wiederum schafft mit seinen faszinierenden Klangatmosphären eine Verbindung zwischen Raum und Zeit. In einem über vierstündigen Konzert im Kloster Eberbach nahm der Chor sein Publikum mit Werken von der Renaissance bis in die Gegenwart mit auf eine Reise, die den Wandel in unserer Welt hörbar macht. Dabei erklangen nicht nur die glasklaren Stimmen der Sängerinnen und Sänger, sondern sie ließen damit auch die Gedanken und Gefühle des Publikums in dieser musikalischen Landschaft widerspiegeln.

Das Aurora Orchestra ist dafür bekannt, mit den Konventionen traditioneller Orchesteraufführungen zu brechen. Im Kurhaus Wiesbaden führte das Orchester in beeindruckender Weise Igor Stravinskys „Le Sacre du Printemps“ auswendig ohne Noten und im Stehen auf. Stravinskys „Frühlingsopfer“ lebt von seinen packenden Rhythmen und einer exzentrischen Klangsprache, die durch die einzigartige Aufführung des Aurora Orchestra an Intensität und Kraft noch gesteigert wurde und dadurch eine unmittelbare Verbindung zwischen Künstlern und Publikum herstellte.

All diese Projekte und Aufführungen gehen weit über die bloße musikalische Darbietung hinaus. Sie sind eine Einladung, sich mit den existenziellen Fragen unserer Zeit auseinanderzusetzen, die Suche nach Heimat, Sinn und Zusammengehörigkeit. Die emotionale Kraft der Musik ermöglicht es den Zuhörern, sich in den Klängen und Melodien zu verlieren und gleichzeitig ihre eigene Geschichte darin zu finden.

Unterstützung der kulturellen Vielfalt durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain

Eine starke Projektunterstützung erfährt der Verein Zukunft Klassik dabei durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain. Der im Jahr 2007 auf Initiative der Hessischen Landesregierung gegründete gemeinnützige Fonds dient dazu die Attraktivität des Kulturraums Frankfurt RheinMain zu erhalten. Das diesjährige temporäre Schwerpunktthema des Kulturfonds Frankfurt Rhein-Main, „hier leben“, betont die Bedeutung dieser emotionalen Verbindung. Es erinnert uns daran, dass Kunst und Musik nicht nur abstrakte Konzepte sind, sondern lebendige Ausdrucksformen, die unser menschliches Dasein bereichern. In einer Zeit, in der wir mit so vielen Herausforderungen konfrontiert sind, sind es die Künstlerinnen und Künstler, die uns daran erinnern, was es bedeutet, hier zu leben, in dieser Welt, in diesem Augenblick. Ihre Musik ist ein Spiegel unserer Sehnsüchte, Hoffnungen und Träume, und sie schenkt uns Trost und Inspiration, wenn wir sie am meisten benötigen.

Unterstützen auch Sie die Arbeit und die Projekte des gemeinnützigen Vereins

Wenn Sie den gemeinnützigen Verein Zukunft Klassik mit ihrer Spende unterstützen möchten, wenden Sie sich gerne an Tabea Glöser unter 06723 917750 oder per Mail an info@zukunft-klassik.de. Die Überweisung Ihres Beitrags zur Zukunft der klassischen Musik geht auf das Konto „Zukunft Klassik e.V.“ bei der Nassauischen Sparkasse, (IBAN) DE58 5105 0015 0107 1368 89. Eine Spendenbescheinigung kann ausgestellt werden.