Wo sich der Rhein ausladend in seinem Bett räkelt, um mit seinen Wassern ein wenig zu zögern, bevor er sich am Mäuseturm vorbei ins Binger Loch stürzt, da lädt es auch die Menschen seit vielen Jahrhunderten gerne zum Verweilen ein. Kein schöner Land als der Rheingau, kein besserer Ort, um das Leben zu feiern mit Kunst und Musik, mit Gesang und dem obligatorischen Glas Wein.

Das war nicht immer so. Wer sich an den Rheingau der Nachkriegszeit bis in die 80er des vergangenen Jahrhunderts erinnert, der muss bei aller gebotenen Skepsis gegenüber unseren heutigen Tagen einräumen: Es ist nicht alles schlechter geworden! Der Rhein hat sich von einer stinkenden, von Chemikalien durchsetzten Brühe zu einem lebendigen Fluss zurückverwandelt. An den Ufern von Biebrich bis Bingen lässt sich beim Flanieren wieder durchatmen und die zahlreichen Baudenkmäler sind in ihrer Mehrzahl aufwändig restauriert und strahlen in neuem Glanz.

An der Wiedergeburt des Rheingaus haben viele mitgewirkt. Aber Michael Herrmann, der Gründer und Intendant des Rheingau Musik Festivals hat daran einen besonderen Anteil.

Trotz des noch immer übermäßigen Auto-, Bahn- und Güterverkehrs an den Rheinufern lässt der Rheingau wieder vieles von dem erahnen, was ihn einstmals zum Inbegriff deutscher Romantik und zum Sehnsuchtsort zahlloser Komponisten und Kulturmenschen hat werden lassen.

An der Wiedergeburt des Rheingaus haben viele mitgewirkt. Aber Michael Herrmann, der Gründer und Intendant des Rheingau Musik Festivals hat daran einen besonderen Anteil. Denn ihm und seinem engagierten Team ist es in mehr als drei Jahrzehnten gelungen, praktisch ohne öffentliche Unterstützung eines der größten musikalischen Sommerfestivals der Welt aufzubauen, das diese einmalige Kulisse beseelt und zum Klingen bringt.

Dass seinem Ruf inzwischen eigentlich alle großen Musikerinnen und Musiker überwiegend aus dem klassischen Bereich gefolgt sind, weist das Rheingau Musik Festival als besonders attraktiven Gastgeber aus. Und das Publikum strömt, erst recht, seitdem uns die Pandemie gezeigt hat, was fehlt, wenn nicht mehr live gespielt werden kann.

Weit über hundert Konzerte, aber auch Preise, Auszeichnungen und Akademien allerhöchster Qualität orchestrieren diesen „Rheinklang“ im Sommer und doch hat das Rheingau Musik Festival seinen regionalen Charakter bewahrt. Das soll und das wird es nicht daran hindern, die musikalische Reputation des Rheingaus nach Europa und hinaus in die Welt zu tragen.

Wenn ARTE in diesem Jahr – neben Konzertübertagungen auf seiner Musikplattform ARTE Concert – den 90-minütigen Festivalfilm „Rheinklang erleben – Das Rheingau Musik Festival 2023“ am 1. Oktober, 16.55 Uhr in seinem TV-Programm zeigt, dann auch, um dem Festival eine zusätzliche internationale Bühne zu geben. Als im Kern deutsch-französischer Kulturkanal ist es für ARTE zudem die Geschichte beider Länder, die im Rheingau zur Erinnerung an gute und auch an weniger gute Zeiten einlädt.

Der Rheingau hat das Zeug dazu, europäische Identität zu stiften. Das Rheingau Musik Festival spielt dazu die Musik.

Wolfgang Bergmann, Koordinator ARTE im ZDF © ZDF/T.Silz

Sendetermine ARTE

Rheinklang erleben
Das Rheingau Musik Festival 2023
Sonntag, 1. Oktober um 16:55 Uhr auf ARTE
sowie auf arte.tv

Bruce Liu spielt Rachmaninow
Rheingau Musik Festival 2023
Jetzt streamen auf arteconcert.com

Titelfoto © Filmagentur Rheingau/Woody T. Herner

Am 1. Oktober lädt ARTE mit der Dokumentation „Rheinklang erleben – Das Rheingau Musik Festival 2023“ auf eine musikalische Reise durch die einmalige Kulturlandschaft des Rheingaus ein. Hornistin Sarah Willis führt als Moderatorin durch die Sendung und gewährt exklusive Einblicke in ausgewählte Konzertevents, festivaltypische Locations und geschichtsträchtige Orte wie Kloster Eberbach. Die ZDF/ARTE-Redakteurinnen Birgit Lorbeer-Claussen und Elke Schwenck berichten von den umfangreichen Dreharbeiten.

In High Heels zum Mäuseturm

Ein dezentes Surren ist über dem Wasserspiegel im Nachmittagslicht zu vernehmen. Die Kameradrohne tanzt 25 Meter hoch, höher und immer weiter hinauf. Hornmotive erklingen aus der Ouvertüre von Webers Freischütz. Ein Hauch romantischer Poesie weht über den Rhein. Die Location unserer ersten Drehszene ist malerisch und eine Chiffre für Rheinromantik pur: der Mäuseturm am Eingang des Rheinengtals bei Bingen. Im 17. Jahrhundert war er ein beliebtes Motiv der Landschaftsmalerei. Heute wird seine Plattform mit Hornistin Sarah Willis zur Musikbühne für das Opening eines Filmprojektes, das sich auf ganzer Linie der Kunst der Verführung verschrieben hat. Der erste Dreh beginnt gleich recht abenteuerlich: mit umfangreichem Equipment setzen wir bei Niedrigwasser zur Mäuseturminsel über. Das Angelmanöver gestaltet sich schwierig. Sarah Willis zwängt sich mit High Heels und Horn die enge Wendeltreppe des Turms hoch. Doch dann ist es geschafft: Das Hornmotiv erklingt, und die erste Anmoderation ist abgedreht.

Sarah Willis startet ihre Rheingau-Entdeckung auf dem Bingener Mäuseturm im Rhein © Birgit Lorbeer-Claussen

Musik, Kulinarik und Kultur

Die ARTE-Produktion „Rheinklang erleben – Das Rheingau Musik Festival 2023 ist eine genussvolle Sommerreise durch den Rheingau mit Musik, Kulinarik und Kultur. On top – im Focus steht eine umfangreiche Konzertreihe, die seit Jahren als Spitzenevent in der Festivalszene gilt – das Rheingau Musik Festival. Wir begleiten das Event mit einem großen Team an 14 Drehtagen in vier Drehblöcken. Eine strategische Mammutaufgabe, denn wir müssen die verschiedenen Locations, Künstlerinnen und Künstler, Expertinnen und Experten mit ihren engen Terminplänen koordinieren.

 

So geht es in diesem ‚Roadmovie‘ vom Rochusberg in Bingen mit Journalist Daniel Deckers auf dem Fahrrad mit der Fähre über den Rhein, nach Wiesbaden, in abgelegene Klöster und mitten in Weinberge bei sommerlichen Höchsttemperaturen. Für die empfindlichen Instrumente der Bläserensembles der Berliner Philharmoniker ein Problem – es wird nur gespielt, wenn die Sonne sich hinter Wolken versteckt.

Regen, Swing und Jazz

Als Gastgeberin auf dieser Entdeckungstour ist Fokuskünstlerin Sarah Willis unterwegs. Zwischen Engagements in Japan und New York reist sie mit uns, ob auf dem Motorboot oder im Oldtimer, zu Klöstern, Schlössern und Weingütern und verliert trotz Jetleg, Sommerhitze und Regenschauern nie ihre gute Laune. So startet die Summernight auf Schloss Johannisberg sommeruntypisch bei stürmisch-nasser Kaltfront. Für die Kameras trotzdem ein unvergessliches Bild: Zuhörerinnen und Zuhörer in einem Meer von giftgrünen Capes lauschen den Grooves von Swing und Jazz.

 

Der Film hat viel zu erzählen: vom schwimmenden Starpianisten Bruce Liu, der Wiesbaden entdeckt und im Kurhaus grandios brilliert, coolen Nonnen, die in Arbeiterkluft die Reben im eigenen Weinberg schneiden, von Kabinett, Riesling und Goldlack und dieser mediterranen Landschaft als Wiege großer Weinkultur, dem Brentanohaus im Winkel, wo Goethe einst zechte und der Legende des Spätlesereiters.

Magische musikalische Momente

„Rheinklang erleben – Das Rheingau Musik Festival 2023“ ist auch eine Reise durch die geheimnisvollen Keller und unterirdischen Schätze des Rheingaus. 12 Grad, düster, Kälte kriecht in die Hosenbeine – kein geringerer als Filmstar Sean Connery hat im Kloster Eberbach vor über 30 Jahren gedreht, gefroren und sich mit Wärmflasche auf dem Kopf in der Drehpause aufgewärmt. Damals war der Hospitalkeller Speisesaal der Mönche für den weltberühmten Klosterkrimi „Der Name der Rose“. Für diesen Film ist er eine harmlose aber stimmungsvolle Kulisse, inszeniert mit Kerzenschein und Kunstnebel. Und ein Konzertort der äußerst beliebten Mozart-Nacht. Die australische Flötistin Ana de la Vega ist im Rahmen dieses Wandelkonzertes Solistin des Abends. Ihre Mozartinterpretationen auf der Open-Air-Bühne im Kreuzgang des Klosters sind wahre musikalische Höhenflüge – getoppt vom Zwitschern und den Flugkünsten der am Himmel kreisenden Schwalben. Es ist einer dieser vielen magischen Momente eines musikalischen Streifzugs durch dieses idyllische Fleckchen Erde.

Sarah Willis mit dem Boot auf Erkundungstour im Rheingau © Birgit Lorbeer-Claussen

Sendetermine ARTE

Rheinklang erleben
Das Rheingau Musik Festival 2023
Sonntag, 1. Oktober um 16:55 Uhr auf ARTE
sowie auf arte.tv

Bruce Liu spielt Rachmaninow
Rheingau Musik Festival 2023
ab 24. August auf arteconcert.com

 

Headerbild: Intendant Michael Herrmann im Gespräch mit Fokus-Künstlerin Sarah Willis. © Birgit Lorbeer-Claussen

Das Landesjugendsinfonieorchester Hessen (LJSO) vereint seit 47 Jahren die besten hessischen jugendlichen Musiker zwischen 13 und 21 Jahren. Dreimal im Jahr kommen die Jugendlichen zusammen, um zwei Wochen lang in intensiven Probephasen anspruchsvolle Konzertliteratur zu erarbeiten. Am 13.08. ist das LJSO Hessen zu Gast beim Rheingau Musik Festival. Gemeinsam mit dem jungen Geiger Johan Dalene, der als Jahrhunderttalent gelobt wird, und dem Dirigenten Vitali Alekseenok, haben die jungen Musiker mit Sibelius‘ sinfonischer Dichtung „Finlandia“, Mendelssohns Violinkonzert in e-Moll und Tschaikowskis Sinfonie Nr. 5 „Schicksals-Sinfonie“, ein energievolles und emotionsreiches Programm im Gepäck.

Uns standen der Dirigent Vitali Alekseenok sowie die 18-jährige Emma Garten, welche seit zwei Jahren Schlagwerkerin des LJSO ist, im Interview Rede und Antwort.

 

Vitali Alekseenok im Gespräch

Lieber Herr Alekseenok, durch Ihre Zusammenarbeit mit den Landesjugendorchestern in Bayern, in Baden-Württemberg und seit diesem Jahr auch in Hessen, haben Sie schon Erfahrungen mit Jugendorchestern sammeln können. Was reizt Sie an der Arbeit mit Jugendorchestern besonders?
Kurz nach meinem Umzug nach Deutschland vor etwa acht Jahren, habe ich schnell diese Landesjugendorchester-Kultur in Deutschland kennengelernt. Seitdem bin ich fasziniert davon, denn es ist eine ziemlich einzigartige Sache in Deutschland, dass jedes Bundesland sein Landesjugendorchester hat und dass so viele Möglichkeiten für die Jugend gegeben werden, in einem Kollektiv gemeinsam zu musizieren. Was diese Jugendorchester im Vergleich zu Profiorchestern ausmacht, ist eine unglaubliche Energie und Neugier und eine große Lust auf das gemeinsame Musizieren. Für sehr viele Orchestermitglieder ist dies das erste Sinfonieorchester in ihrem Leben. Und diese Frische kann man in der Arbeit und in den Konzerten mit solchen Jugendorchestern sehr genießen. Und ich glaube, das ist das Wichtigste beim Musizieren, dass wir Spaß dran haben, dass wir gemeinsam was erleben und dass wir das mit dem Publikum teilen. Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich mit 17 Jahren zum ersten Mal in so einem Jugendorchester gespielt habe. Daher weiß ich selbst sehr gut, dass man dort viele neue Erfahrungen sammeln kann, teilweise auch lebensbestimmende Erfahrungen. Denn ich habe mich nach einer Arbeitsphase in einem Jugendorchester dazu entschieden, professionell Musik zu machen und das auch weiterhin zu studieren. Jugendorchester haben also mein Leben geprägt und ich weiß, dass Jugendorchester dutzende von jungen Musikern ebenfalls prägen und diese so eine Menge zu unserer musikalischen Landschaft in Deutschland beitragen.

Jetzt haben Sie im Mai bereits das Landesjugendsinfonieorchester Hessen im Rahmen der
Festkonzerte zu 175 Jahre Paulskirche leiten dürfen. Wie haben Sie das Orchester dort erlebt?
Es war eine tolle und intensive Arbeit, allerdings in relativ kurzer Zeit und mit einem nicht allzu langen Programm. Trotz dieser kurzen Zeit konnte ich das Orchester in unserer Konzertreihe schon gut kennenlernen. Ich habe ein gutes Niveau und eine große Lust auf das gemeinsame Musizieren spüren können. Was ich bereits über die Landesjugendorchester erzählt habe, traf voll zu. Ich habe aber auch etwas ganz Neues entdeckt, was ich bisher in keinem Jugendorchester so stark gespürt habe, wie beim LJSO Hessen. Und zwar der sehr starke Trieb nach Professionalität, nach Disziplin und dem Wunsch der ständigen Entwicklung und des gemeinsamen Wachstums, ist mir besonders in Erinnerung geblieben.

Am 13. August geben Sie Ihr Debüt beim Rheingau Musik Festival und stehen erneut als Dirigent des Landesjugendsinfonieorchesters Hessen am Pult. Warum darf man dieses Konzert nicht verpassen?
Natürlich ist es ein fantastisches und buntes Programm, mit vielen Emotionen und unterschiedlichen Ästhetiken. Es ist eigentlich ein Programm, wo alle jugendlich sind. Sowohl das Orchester als auch der Solist mit seinen 22 Jahren. Ich als Dirigent bin zwar ein bisschen älter, aber auch noch nicht wahnsinnig alt. Genauso in den Werken als auch im Orchester wird gewaltig viel Energie zu spüren sein. Es ist eine einzigartige Möglichkeit für das Publikum, diese jugendliche Energie mit doch künstlerischer Reife und Professionalität gemeinsam zu erleben.

VItali Alekseenok © Elza Zherebchuk

Mit Finlandia von Sibelius, dem Violinkonzert in e-Moll von Mendelssohn und der 5. Sinfonie von Tschaikowski, haben Sie in der Sommer-Probenphase ein anspruchsvolles Programm im Gepäck. Wie werden Sie die Jugendlichen an dieses Programm heranführen?
Wir haben glücklicherweise fast zwei Wochen, um an diesem anspruchsvollen Programm zu arbeiten. Wir haben ein großes Team von Dozenten und einen Assistent-Dirigenten, welche mit jeder Registergruppe im Orchester intensiv proben werden und bei den Tuttiproben werden wir natürlich professionell und an der musikalischen Aussage der Werke arbeiten. Damit das Orchester mehr Kontakt und Bezug zu dieser Musik hat, werde ich wahrscheinlich ein bisschen über diese Musik erzählen und erklären.

Inwieweit unterscheiden sich die Proben eines Jugendorchesters von einem Profiorchester?
Da die jungen Musiker eines Jugendorchesters noch weniger Erfahrung haben als professionelle Musiker, sollte man den Jugendlichen mehr Bezug zur Musik ermöglichen und die Richtung zeigen, damit alle sich wirklich in einem Kollektiv wiederfinden können. Man kann bei der Arbeit mit einem Jugendorchester sogar mehr machen als mit Profis. Man kann die Konventionen brechen und viel flexibler arbeiten. Natürlich haben wir auch mehr Zeit, um diese Reise musikalisch und menschlich zu gestalten. Welche Techniken man aber in einem Jugendorchester verwenden kann, das bleibt das Geheimnis eines Dirigenten. Aber ich kann verraten, dass die Arbeit mit solchen Orchestern intensiv, bunt und erlebnisvoll ist.

Emma Garten im Gespräch

Liebe Emma, du bist seit knapp 2 Jahren Mitglied des LJSO-Hessen und spielst dort Schlagwerk und engagierst dich außerdem als Orchestersprecherin. Was macht für dich das LJSO so besonders?
Das LJSO bedeutet für mich in erster Linie eine Zeit mit tollen Menschen und die Erarbeitung eines Programms. Die Motivation und Arbeitsbereitschaft des Orchesters ist groß. Diese Energie, die man bei Proben und besonders bei Konzerten spüren kann, dieser jugendliche Spirit, dennoch ohne den Bezug zur Professionalität zu verlieren, ist einzigartig und immer wieder ein besonders Erlebnis.

Dreimal im Jahr trefft ihr euch in den Schulferien zu zweiwöchigen Probephasen. Wie läuft so eine Probephase ab?
Am Anfang steht eine Crash-Probe an, in der das Programm durchgespielt wird, um festzustellen, wo am meisten Probebedarf besteht. Danach wird intensiv mit professionellen Dozenten in den einzelnen Stimmgruppen geprobt, in denen am gesamten Programm und vor allem an technisch schwierigen Stellen gearbeitet wird. Natürlich arbeiten wir danach viel mit dem ganzen Orchester zusammen. Die Tutti-Proben machen mir am meisten Spaß, da zu diesem Zeitpunkt die Stücke sich in ihrem vollen Klang entfalten können und dann vor allem an der Musik gearbeitet wird.

Zum Schluss: Wie sehr freust du dich auf euer Konzert am 13.08. im Kurhaus Wiesbaden?
Ich freue mich auf jeden Fall sehr und bin dankbar für diese Gelegenheit. Jedes LJSO-Konzert sorgt bei mir für Euphorie, aber ein Konzert in einem solch beeindruckenden und geschichtsträchtigen Saal zu haben, ist einmalig.

LJSO Hessen © Konrad Merz

Die Gespräche führte Ben Herrigt.

Titelfoto © Konrad Merz

Das LSJO Hessen beim Rheingau Musik Festival

K 126 | 13.8. | So. 19 Uhr
Kurhaus Wiesbaden
Friedrich-von-Thiersch-Saal

Johan Dalene, Violine
Landesjugendsinfonieorchester Hessen
Vitali Alekseenok, Leitung

Mal kräftig, mal zart, abstrakt und doch präzise, transparent, ausdrucksstark und leuchtend: Der Rheingauer Maler Michael Apitz bringt Porträts berühmter Komponisten auf die Leinwand, deren musikalisches Vermächtnis sich in Farbe ausdrückt. „Chromofonie“ nennt er seine Sammlung, die mittlerweile acht Bilder umfasst und deren Name sich vom griechischen Wort „chromofon“ ableitet, was so viel wie „farb-klingend“ bedeutet. Die Wahl der Farben für diese Art der künstlerischen Umsetzung von Klang in Farbe ist dabei subjektiv und gibt die persönlichen Empfindungen und Gefühle des Malers für die jeweilige Musik wider. In abstrahierender freier Form und Farbgestaltung übersetzt Michael Apitz in seinen Gemälde-Kompositionen Musik in Malerei: die Komponistenpersönlichkeit, die Musik und die Malerei verschmelzen in seinen Bildern auf diese Art und Weise zu einem Gesamtkunstwerk. Als Vorlagen dienen bekannte historische Porträts der jeweiligen Musiker. Bei der Auswahl der Porträtierten ist für Michael Apitz seine eigene Begeisterung für die jeweilige Musik das wichtigste Kriterium.

Michael Apitz mit zwei seiner Komponistenporträts

Mit dieser Serie rückt zum ersten Mal der Mensch in den Mittelpunkt von Apitz malerischen Arbeiten. Bis dahin sind es vor allem Landschaften, die ihn inspirieren und faszinieren, und die er als sogenannte „Seelenlandschaften“ in seinem expressiven Stil an der Grenze zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion auf die Leinwand fließen lässt. Einen besonderen Stellenwert in seinem Schaffen nehmen die Landschaften des Mittelrheintals und damit vor allem die Weinberge und der Rhein ein, die er als Themen immer wieder in seinen Werken bearbeitet.

Michael Apitz beim Malen eines Komponistenporträts

Bevor Michael Apitz 1999 mit der Malerei beginnt, ist er bereits als Karikaturist und Comic-Zeichner erfolgreich: Sein Talent erkennt er schon in der Schule, in der er zur Freude seiner Mitschüler vor allem seine Lehrer karikiert. Danach macht er sich einen Namen als Schöpfer des Comics „Karl, der Spätlesereiter“, der von 1988 bis 2004 in 12 Bänden verlegt wird, und als Zeichner des „Eintracht-Frankfurt-Comics“.

In seinen Comics und Karikaturen beschäftigt sich der Künstler vor allem mit dem Menschen als Themenschwerpunkt seiner Arbeit, in seiner Malerei hauptsächlich mit der Natur. Nun erweitert er sein Malerei-Portfolio noch einmal: „Irgendwann ist man durch mit Landschaften“, sagt Michael Apitz bei der Ausstellungseröffnung der „Chromofonie“-Serie. Und so bringt der Künstler 2013 mit Richard Wagner sein erstes Komponistenporträt in Acrylfarben auf die Leinwand. Apitz, der sich sehr für klassische Musik interessiert und diese vor allem bei seiner malerischen Arbeit hört, verwendet das Wagner-Gemälde anschließend als Auftakt zu seiner „Chromofonie“-Reihe, die er 2018 in Wiesbaden erstmals der Öffentlichkeit vorstellt.

Vom 8. August bis zum 3. September 2023 können seine Komponistenporträts nun im Laienrefektorium des Klosters Eberbach im Rheingau bewundert werden. Neben Richard Wagner werden in dieser Zeit auch Porträts von Giuseppe Verdi (2016), Johann Sebastian Bach (2018), Wolfgang Amadeus Mozart (2018), Franz Schubert (2018), Antonio Vivaldi (2018), Antonín Dvořák (2019) und Ludwig van Beethoven (2020) ausgestellt. Außerdem plant Apitz die Fertigstellung eines weiteren Komponisten-Gemäldes, welches im Rahmen der „Norwegischen Nacht“ des Rheingau Musik Festivals (9.8.) im Kloster Eberbach enthüllt und erstmals öffentlich gezeigt werden soll.

Besucherinnen und Besucher des Klosters und des Rheingau Musik Festivals können die Ausstellung mit ihren Tickets (Eintritt zum Kloster bzw. Konzertkarte fürs Kloster Eberbach) kostenfrei besuchen.

 

„Chromofonie“ beim Rheingau Musik Festival

8. August – 3. September 2023
Kloster Eberbach,
Laienrefektorium

Ausstellung „Chromofonie“

Besucherinnen und Besucher des Klosters und des Rheingau Musik Festivals können die Ausstellung mit ihren Tickets (Eintritt zum Kloster bzw. Konzertkarte fürs Kloster Eberbach) kostenfrei besuchen. 

K 115 | 9.8. | Mi. 20 Uhr
Kloster Eberbach, 
Kreuzgang

Norwegische Nacht

Ragnhild Hemsing, Violine & Hardangerfiedel
Trondheim Soloists

Im Rahmen dieses Konzerts findet die Enthüllung eines brandneuen Komponistenporträts des Rheingauer Malers Michael Apitz aus seiner Bilderserie „Chromofonie“ statt. 

Ludwig Böhme ist seit einem Jahr künstlerischer Leiter des Windsbacher Knabenchores und dirigiert am 4. August in Kloster Eberbach die Johannespassion

Seit September 2022 leitet Ludwig Böhme, langjähriger Sänger und Gründungsmitglied des Leipziger Calmus Ensemble, den Windsbacher Knabenchor. Auch in diesem Jahr ist das Ensemble, das 2007 mit seinem damaligen Dirigenten Karl-Friedrich Beringer den Rheingau Musik Preis erhielt, Gast des Festivals und führt am 4. August in Kloster Eberbach zusammen mit Solisten und dem Freiburger Barockorchester Bachs Johannespassion auf. Im Interview blickt Böhme auf sein erstes Jahr in Windsbach zurück und erzählt, warum er sich besonders auf dieses Passionskonzert freut:

Herr Böhme, Sie sind seit bald einem Jahr künstlerischer Leiter des Windsbacher Knabenchors. Wie haben Sie die vergangenen Monate erlebt?
Sehr intensiv! Und ich habe gelernt: Den „Normalbetrieb“ eines Knabenchores gibt es nicht. Es ist immer was los, es ist aufregend und abwechslungsreich – die Arbeit gibt mir auch immer wieder viel zurück. Was vielleicht überraschen mag: Im Arbeitsalltag als Leiter des Windsbacher Knabenchores ist die Musik nicht immer die Hauptaufgabe, sondern es gibt auch viel zu tun im organisatorischen, pädagogischen und wirtschaftlichen Bereich. Ich bin gerne hier und in diesem ersten Jahr habe ich viel gelernt und erlebt. Und ich habe eine Basis gefunden, auf die ich im nächsten Jahr aufbauen kann.

Wann haben Sie atmosphärisch und musikalisch das Gefühl gehabt, angekommen zu sein?
Das ist kein Gefühl, das sich einstellt und dann ist es und bleibt auch da, sondern es muss jeden Tag neu erarbeitet werden. Es gibt Momente, da funktioniert alles ganz hervorragend und Tage – und die können durchaus auch aufeinanderfolgen! –, wo irgendwie der Wurm drin ist. Das musikalische Verständnis in einem Knabenchor ist ein Prozess, der jeden Tag aufs Neue hergestellt werden muss.

Der Chor hat im Auswahlverfahren ja eindeutig für Sie gestimmt. Wie läuft den nun die tagtägliche Zusammenarbeit?
Auch das ist ein Prozess, der sich stetig weiterentwickelt und Zeit braucht. Die Windsbacher werden durch ihren Chorleiter intensiv geprägt. Bis August 2022 war dies Martin Lehmann. Nun bin ich das – mit zum Teil ähnlichen, sicher aber auch vielen unterschiedlichen Ansätzen und Herangehensweisen. Das lässt sich nicht so einfach umschalten. Daher bin ich sehr dankbar dafür, dass der Chor so offen ist, mich gut angenommen und Bereitschaft gezeigt hat, sich auf Neues einzulassen. Das ist keine Kleinigkeit.

Wer die Windsbacher über einen längeren Zeitraum begleitet und nun mal in Ihre Proben hereinhorchen kann, wird merken, dass Ihr Stil vor Ort durchaus ein Novum ist: Sie arbeiten mit einer größeren Gelassenheit. Hat sich was in der Art des musikalischen Umgangs miteinander geändert?
(lacht) So gelassen bin ich gar nicht. Die Windsbacher sind ein hervorragender, engagierter und leidenschaftlicher Chor. Genau das möchte ich erhalten und fortführen. Den Stil meiner Vorgänger habe ich nie direkt erlebt, kenne ihn also nur vom Hörensagen. Insofern möchte ich mich an Vergleichen nicht beteiligen und lieber nach vorn blicken. Meine Aufgabe ist es, die hervorragende Arbeit meiner Vorgänger kontinuierlich fortzusetzen und weiterzuentwickeln. Und ich mache das auf meine Art.

Und die sieht wie aus?
Sie fußt auf Gründlichkeit und Inspiration. Dass sauber, zusammen und balanciert gesungen wird, ist die Basis. Aber da muss ja noch mehr passieren: Es sollte das Werk, die Absicht des Komponisten, der Inhalt, die historische Einordnung und unser Blick aus dem Heute im Fokus einer guten Interpretation stehen. Und: Konzert ist Showtime und jeder Moment muss mit Sinn gefüllt werden. Der speist sich zu gleichen Teilen aus Qualität und Emotion.

„Ich möchte einfach grundsätzlich nicht, dass Musik zum Wettbewerb wird, wo es Gewinner und Verlierer gibt.“

Früher haben Sie selbst in einem Knabenchor, nämlich im Thomanerchor, gesungen. Nun stehen Sie vor einem solchen Ensemble. Ist das die andere Seite ein- und derselben Münze?
Ich profitiere natürlich von den Erfahrungen, die ich in Leipzig gemacht habe. Denn das gibt mir die Möglichkeit, mich in die Jungs vielleicht etwas besser hineinversetzen zu können. Ich empfinde es als sehr große Verantwortung, in der neuen Leitungsposition dieses sehr komplexe Schiff Windsbacher Knabenchor zu steuern. Die Windsbacher sind starke Persönlichkeiten, die viel geben, aber auch Erwartungen haben. Die beinahe tägliche Chorarbeit ist für die Windsbacher quasi ein Hauptberuf und hat eine große Intensität. Die Gemeinschaft und das Zusammenleben auf unserem schönen Campus ist die notwendige Voraussetzung für unsere Erfolge. Wir haben in nur einem Jahr schon so viel zusammen erlebt.

Danke für das Stichwort: Was waren für den Chor denn die konzertanten Höhepunkte?
Jeder Auftritt, von der Andacht bis zur Oratorienaufführung verdient die gleiche Ernsthaftigkeit. Aber natürlich: In der Elbphilharmonie oder im Palau de la Música Catalana in Barcelona zu singen und zu sehen, wer da vor uns schon Erfolge gefeiert hat, ist für die Windsbacher schon etwas Besonderes! Und das setzt sich ja mit der Johannespassion bei der Bachwoche Ansbach oder im Rheingau Musik Festival fort. Als ersten Höhepunkt würde ich unsere Spanientournee mit Bachs Weihnachtsoratorium nennen, denn auf die erste Auslandsreise nach den Coronajahren haben sich alle besonders gefreut. Da A-cappella-Singen unser Alltag ist, werden die Oratorien auch von den Sängern als besonders spannend wahrgenommen: Solisten und Orchester inspirieren den Chor ungemein. Neben den Reisen und der Chorsinfonik war sicherlich auch unser Konzert zum Knabenchorgipfel beim Bachfest Leipzig ein besonders emotionaler Höhepunkt, denn natürlich wollten der Chor und auch ich ganz persönlich in meiner „alten“ Heimat den einen überzeugenden Auftritt abliefern.

Sie haben eben den Begriff Gipfeltreffen erwähnt. Spüren oder benennen Sie eine Konkurrenz zwischen den Knabenchören?
Natürlich interessiert es mich, wie andere Knabenchöre, wie meine Kollegen arbeiten – musikalisch, pädagogisch und institutionell. Von Gutem kann ich mich inspirieren lassen, von weniger Gutem distanziere ich mich. Ich möchte einfach grundsätzlich nicht, dass Musik zum Wettbewerb wird, wo es Gewinner und Verlierer gibt. Jugendliche schwanken auch – es gibt Sternstunden und auch einmal schlechte Tage, vielleicht ist bei Kindern die Bandbreite etwas größer als sie bei gefestigten Erwachsenen ist. Auch ändert sich ein Knabenchor mit jedem Monat, bei dem Jungs in den oder aus dem Stimmbruch kommen. Deshalb ist die Arbeit ein ständiges Dranbleiben. Jeder Knabenchor hat seine eigene Struktur, Aufgabe und Wirkungsstätte. Dies gibt jedem Ensemble sein unverwechselbares Profil. Ich bin dann glücklich, wenn ich merke, dass wir das, was wir musikalisch erarbeitet haben, im Konzertmoment vielleicht sogar noch ein bisschen übertreffen oder um Facetten ergänzen konnten, die wir im Probenalltag noch nicht erreicht hatten – wenn wir ein Stück weit über uns herauswachsen konnten. Und genau dies freut mich auch bei allen anderen Knabenchören.

Das wird Ihnen sicherlich auch in Kloster Eberbach gelingen, wo Sie ja am 4. August Bachs Johannespassion singen. Ist das eine besondere Herausforderung für die Jungs?
Die Johannespassion ist ein Werk, das beim Windsbacher Knabenchor einfach Begeisterung auslöst. Die Passionsgeschichte ist natürlich jedem bekannt und greifbar. Aber diese Dramatik und Emotionalität, die in Bachs Musik drinsteckt, können die Jungs wahnsinnig gut umsetzen. Das habe ich bereits in zwei Konzerten in Breslau und Nürnberg erleben dürfen und freue mich auf weitere Konzerte mit diesem Stück.

Wie sah Ihre Vorbereitung aus?
Wir haben stark daran gearbeitet, die verschiedenen Perspektiven sichtbar zu machen: In den Turbachören tritt der Chor als aggressiver Mob auf, der die Kreuzigung fordert. Und dann legen wir den Schalter um und betrachten das Geschehen in den Chorälen ruhig und reflektierend, durchaus auch aus heutiger Sicht. In den Proben galt es, die Vielseitigkeit dieser Musik zu entdecken. Und die nun im Konzert abzubilden ist etwas, was den Jungs wirklich sehr gut gelingt. Für mich, der ich das Werk von Kindesbeinen an kenne, ist es natürlich auch eine große Verantwortung, jetzt mit diesen renommierten Klangkörpern Windsbacher Knabenchor und Freiburger Barockorchester eine Interpretation zu präsentieren. Und beim Rheingau Musikfestival im wunderbaren Kloster Eberbach tun wir dies besonders gern!

Was wird denn das Publikum dort erleben?
Gerade Bachs Johannespassion ist ein Werk, das weltweit bekannt ist, über das kluge Menschen geschrieben und tolle Musiker bahnrechende Interpretationen geliefert haben. Jeder Ton ist da intensiv durchdacht. Ich bin aber sicherlich keiner, der glaubt, jedes Jahr an Weihnachten den Zimtstern neu erfinden zu müssen. Richtiges hat Bestand. Mit den Windsbachern und den historischen Instrumenten des Freiburger Barockorchester ziele ich auf Authentizität. Dass ein Knabenchor das Passionsgeschehen artikuliert und singt, kann uns tatsächlich ein bisschen in die Zeit Bachs zurückversetzen. Und genau dies ist es, was die Knabenchöre auch heute relevant macht: Bachs Meisterwerke, ein unschätzbares Kulturgut, authentisch lebendig halten zu können. Und die musikalische, emotionale und theologische Einzigartigkeit der Johannespassion vermittelt sich in jedem einzelnen Ton.

Gibt es für Sie eine Stelle oder Partie in der Johannespassion, in der sich das besonders offenbart?
Der Eingangschor ist enorm vielschichtig und für mich eines der beeindruckendsten Werke der Musikgeschichte. Natürlich hat die Passion auch wundervolle Choräle. Die Johannespassion endet mit dem Satz „Ich will Dich preisen ewiglich“. Aber damit beginnt sie eben auch schon, mit „Herr, unser Herrscher, dessen Ruhm in allen Landen herrlich ist“. Wir überstrahlen den Tod. Das ist Bachs Botschaft. Und die verkünden wir.

Eine Aufgabe, die den Chor nicht nur mit Bachs Johannespassion beschäftigt: Was gibt es für besondere Projekte im kommenden Jahr?
Auch für die kommende Saison haben wir wieder einen interessanten und schönen Konzertkalender. Zu Weihnachten gehen wir eine Zusammenarbeit mit der lautten compagney berlin an, die uns auch in das Konzerthaus Berlin führen wird. Eine weitere Kooperation findet mit den Nürnberger Symphonikern statt. Im Frühjahr steht eine Konzertreise nach Frankreich an und wir werden auch wieder im Rheingau Musik Festival zu Gast sein und dort unter anderem Puccinis Messa di Gloria singen, also Chorsinfonik, die in eine ganz andere Stilistik geht. Es gibt genug zu tun.

Herr Böhme, dafür wünschen wir Ihnen und dem Windsbacher Knabenchor viel Erfolg und danken für das Gespräch.

 

Der Windsbacher Knabenchor beim Rheingau Musik Festival 2023

K 99 | 4.8. | Fr. 19 Uh
Kloster Eberbach
Basilika

Gesangssolisten
Freiburger Barockorchester
Windsbacher Knabenchor
Ludwig Böhme, Leitung

Das Gespräch führte Jan-Geert Wolff. Wir danken ihm herzlich für die freundliche Bereitstellung des Textes.
Fotos © Anne Hornemann